Statement zum Abschlussbericht der Regierungsmehrheit

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Der 1. Untersuchungsausschuss der 6. Wahlperiode wurde im April 2015 durch ein Minderheitenvotum der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDIS 90/DIE GRÜNEN eingesetzt. Der UA beschäftigte sich seit 2015 im Wesentlichen mit drei Themenkomplexen: Den Vorgängen rund um die Brandstiftung in der Frühlingsstraße 26 in Zwickau, der elffachen Raubserie in Zwickau und Chemnitz sowie der Fahndung nach dem flüchtigen Trio. In 43 Sitzungen wurden 69 Zeug*innen sowie eine Sachverständige befragt.

Die Veröffentlichung der Abschlussberichte und Stellungnahmen der Fraktionen, sowie das Ende des Untersuchungsausschusses veranlasst uns ebenfalls zu einer Stellungnahme. Während wir den umfassenden Bericht der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sehr wertschätzen und den Wert der akribischen Dokumentation, dem detaillierten Verweissystem und den umfangreichen Zitaten aus den Protokollen für die anstehende wissenschaftliche und gesellschaftliche Aufarbeitung sehen, bedarf es noch einmal einer kritischen Betrachtung des Mehrheitsberichtes.

Mit Blick auf die zurückliegenden Jahre und die Arbeit der Fraktionen von CDU und SPD im Untersuchungsausschuss, ist für Beobachter*innen sehr deutlich geworden, dass das Interesse der Regierungsparteien an einer allumfänglichen Aufarbeitung des NSU-Komplexes und der möglichen Verantwortung sächsischer Behörden nicht allumfassend bestand. Dies wurde bereits deutlich in den Vorbehalten der Fraktionen von CDU und SPD bzgl. der Einsetzung eines weiteren Untersuchungsausschusses zum NSU. Deutlich wurde dies auch in der Arbeitsweise der Parlamentarierer*innen der CDU und SPD-Fraktion, die in einem viel geringeren Umfang von ihrem Fragerecht Gebrauch machten und häufig schlecht vorbereitet und mit wenig Interesse im Untersuchungsausschuss saßen.

Die Besonderheit des NSU-Komplexes und die Zäsur, die dieser für sämtliche Analysen bedeuten sollte, wird von den Regierungsparteien nicht ausreichend erkannt, denn schon in den einleitenden Worten der Stellungnahme wird deutlich, dass der Glaube an die Extremismus-Doktrin tief sitzt:

»Die Fraktionen von CDU und SPD erachten es als ihre Pflicht, die Bekämpfung von Terrorismus und Gewalt immer wieder in den Fokus politischer Debatten und Entscheidungen zu rücken. Es ist Aufgabe unserer ganzen Gesellschaft, dafür Sorge zu tragen, dass die Ohren nicht nur hören, sondern auch verstehen und die Augen nicht nur sehen, sondern auch erkennen, welche Gefahren in menschenverachtenden extremistischen und terroristischen Gesinnungen liegen.«[1]

Es stellt sich die Frage, was angesichts des Ausmaßes rechter Gewalt auch nach der Selbstenttarnung des NSU und dem Ende des Gerichtsprozesses, die Fraktionen von CDU und SPD daran hindert, von Rassismus und rechtem Terror zu sprechen, statt allgemein von Terrorismus und Gewalt. So wundert es auch nicht, wenn der Bericht in seinen einleitenden Worten zunächst zu dem Schluss kommt:

»Gesellschaftliches Engagement, politische Bildung und gelebte Nächstenliebe sind Grundlagen für die stetige Bewältigung dieser Aufgaben.«[2]

Von der Verantwortung staatlicher Institutionen, der Justiz, der Polizei und des Verfassungsschutzes ist zunächst einmal nicht die Rede.

Arbeit des Verfassungsschutzes

Die Befragungen von Mitgliedern sowie Führungspersonal des Verfassungsschutzes im Untersuchungsausschuss zeigte, dass zahlreiche Hinweise vorlagen, dass sich das Kerntrio in Sachsen auf der Flucht vor den Ermittlungsbehörden niedergelassen hatte. So wurde das LfV Sachsen bereits im Februar 1998 vom Thüringer LfV über die Suche nach und die Haftbefehle für Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe in Kenntnis gesetzt.[3] Ebenfalls wurden sie darüber informiert, dass die Flüchtigen ihr Fluchtfahrzeug im »Raum Dresden« abgestellt haben. Wie der Zeuge Joachim Tüshaus, der von 1993 bis 2004 die Abteilung II »Links- und Rechtsextremismus« des Landesamtes für Verfassungsschutz Sachsen leitete, schilderte, fragte das LfV Thüringen im September 1998 um Unterstützung bei Observationen. Der Hintergrund dazu war die Quellenmeldung vom LfV Brandenburg, die auf die Versuche der Waffenbeschaffung durch den Chemnitzer Neonazi Jan Botho Werner verwiesen. Ebenfalls wurde bekannt, dass Antje Probst, ehemalige Blood&Honour-Aktivistin, beabsichtige den Flüchtigen ihren Pass zur Verfügung zu stellen. Diese zahlreichen Hinweise wurden durch das LfV Sachsen jedoch nicht an die polizeilichen Ermittlungsbehörden weitergegeben. Als Grund nannte der Zeuge Tüshaus, dass das quellenführende Amt LfV Brandenburg nur eine mündliche Weitergabe der Information an das LKA erlaubt habe, womit das Erwirken von TKÜ-Beschlüssen jedoch nicht möglich gewesen wäre. So sei schlussendlich eine Weitergabe der Informationen an die sächsische Polizei nicht erfolgt[4]. Noch konkreter wurde die Erkenntnislage im LfV Sachsen im Jahr 1999, als die Thüringer Zielfahndung darauf hinwies, dass sich die drei womöglich in Chemnitz aufhalten würden.

Allein diese Schlaglichter zu der dem Ausschuss bekannt gewordenen Informationslage des LfV Sachsen in den Jahren 1998 und 1999 zeigen deutlich, dass die Behörde einen soliden Kenntnisstand zu den polizeilich gesuchten rechtsextremen Bombenbauer*innen aus Jena hatte. Es ist daher umso befremdlicher, dass die Fraktionen der Regierungsparteien formulieren:

»Aus Sicht der Fraktionen von CDU und SPD bleibt festzuhalten, dass das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen im September 1998 Kenntnis von der Meldung einer Quellenmeldung des Landesamtes für Verfassungsschutz Brandenburg erlangte, nach welcher das Trio mit zu besorgenden Waffen einen ‚weiteren Überfall‘ plane. Diese Erkenntnis war aber nicht damit verknüpft, dass sich das Trio tatsächlich in Sachsen aufhalte.«[5]

Das Desinteresse an behördlicher Aufklärung und die Arbeitsweise der Regierungsparteien im Untersuchungsausschuss wurde am Befragungstag des Präsidenten des Landesamtes für Verfassungsschutz Sachsen Gordian Meyer-Plath exemplarisch sichtbar. So zeigte sich deutlich, dass speziell die CDU-Abgeordneten keinerlei Interesse an kritischen Fragen oder an einer angemessen ausführlichen Befragung hatten. Im Ausschuss führte dies zu der Schieflage, dass von dem Fragerecht mehrheitlich durch Linke und Grüne Gebrauch gemacht wurde, die CDU-Fraktion keine Fragen stellte und die SPD-Fraktion lediglich zwei. Der Zeuge Meyer-Plath konnte sich somit allen Fragen durch sehr allgemeine und unkonkrete Antworten entziehen. Dabei ist seine Personalie im Kontext der behördlichen Verantwortung für die Nicht-Aufdeckung des NSU alles andere als unbedeutend. So war Gordian-Meyer Plath einst V-Mann Führer im LfV Brandenburg für die Quelle Carsten »Piatto« Szczepanski, der weitreichende Kontakte in das Blood&Honour Netzwerk in Sachsen hatte und im August 1998 von Jan Botho Werner per SMS mit den Worten »Was ist mit dem Bums?« angeschrieben wurde, was als Waffenbeschaffungsversuch gewertet wird. Die Befragung des sehr bedeutsamen Zeugen wurde bereits nach zwei Stunden beendet.[6]

Die Bewertungen der Fraktionen der CDU und SPD stehen damit stark im Kontrast zum Abschlussbericht des Bundestagsuntersuchungsausschuss, in welchem formuliert wird: »Die Analyse der Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern zur rechtsterroristischen Gefahr war falsch und verharmlosend“ und attestieren den Behörden »auf dem rechten Auge betriebsblind« zu sein.[7] In Sachsen wird sich dagegen auf die strukturelle Unterbesetzung, die personelle Situation im LfV Sachsen zu dieser Zeit sowie auf die mangelnde Informationsübermittlung durch das LfV Thüringen berufen.[8]

Raubüberfälle

Zwischen Dezember 1998 und Oktober 2006 fanden in Sachsen elf Raubüberfälle des NSU statt. Die polizeiliche Ermittlungsarbeit zu der Raubüberfallsserie war ebenfalls ein zentrales Themenfeld für den Untersuchungsausschuss.

Die Schilderungen der Polizeibeamt*innen zeigten, dass im Falle der Raubüberfallserie vor allem in der KPI Chemnitz fallübergreifend und bis in das Jahr 2011 ermittelt wurde. Hinsichtlich der kriminalistischen Hypothesen lässt sich jedoch die Einseitigkeit der Ermittlungen kritisieren. Dass Neonazis im Untergrund Raubüberfälle begehen war nicht gänzlich neu. Dennoch wurde diese Ermittlungsrichtung völlig außer Acht gelassen. Stattdessen gab es drei Varianten: die Täter*innen handelten aus persönlichem Bereicherungsinteresse, zur Finanzierung eines Geschäftes als klassische Geldwäschemethode oder zur Finanzierung eines Geschäftes, welches wirtschaftlich nicht funktioniere. Von der Fahnung nach den untergetauchten drei Neonazis aus Jena wußten die Ermittler nichts. [9]

Daneben wurde die vierte Hypothese ab 2007 verfolgt, dass die Täter*innen der Überfälle möglicherweise aus dem Rockermilieu kommen könnten. Indessen gab das LKA Sachsen den Zwickauer Raubermittler*innen zur Ausschöpfung der Ermittlungsansätze zahlreiche Empfehlungen für Folgemaßnahmen, die die gesamte Serie kriminalistisch auswerten sollten. Das ist jedoch nicht geschehen. [10]

Bezeichnenderweise formuliert der Zeuge Klaus Schlarb, Staatsanwalt in Chemnitz, dass es keinerlei Hinweise auf eine rechtsterroristische Organisation gegeben habe. Die Täter der Banküberfälle hätten auch »keine Springerstiefel« getragen, genausowenig Lonsdale- oder Thor-Steinar-Kleidung, auch seien sie »ja nicht mit ›Heil Hitler‹ in die Bank reinmarschiert«[11]

Im Fall der Raubserie ist klar geworden, dass eine zentrale Bündelung der Ermittlungen etwa beim LKA Sachsen nicht erfolgt ist. Die Zwickauer Beamten*innen haben dafür keine Notwendigkeit gesehen. Dabei war das eine der wenigen Empfehlungen aus einer Operativen Fallanalyse, die die Zwickauer Raubermittler*innen selbst angestrengt haben. Letztlich sind sie davon ausgegangen, dass ihre Fälle »ausermittelt« gewesen seien. Ein politisches Motiv haben sie nie vermutet, entsprechend unterblieb auch die Kontaktaufnahme mit den zuständigen Staatsschutzdienststellen. Auch ist klar, dass die Ermittler*innen schon früh davon ausgingen, dass die Täter*innen nach einem Raub mit dem Rad flüchten und dann, so haben die Beamten vermutet, in einen Transporter umstiegen. Einsatztaktische Konsequenzen gab es jedoch keine. Bemerkenswert ist außerdem: Ein Beamter berichtet vor dem Untersuchungsausschuss, dass eine Frau bei einem der Überfälle in Zwickau in Erscheinung getreten sein soll.

Die Fraktionen von CDU und SPD kommen jedoch zu dem Schluss:

»Im Ergebnis der Untersuchungstätigkeit des Ausschusses zu den Raubüberfällen ist festzustellen, dass trotz gründlicher und umfangreicher kriminalistischer Arbeit kein Ermittlungserfolg erzielt werden konnte. Versäumnisse oder Fehler der beteiligten Polizeibehörden sind nicht erkennbar«[12]

Hinsichtlich der Raubüberfälle ist jedoch ebenfalls die Rolle der Staatsanwaltschaft Zwickau und Chemnitz zu bemängeln. So problematisieren die Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

»Insoweit wird gesamthaft weder bei der Staatsanwaltschaft Chemnitz, noch der Staatsanwaltschaft Zwickau eine konkrete Sachleitung der Ermittlungen zu den einzelnen Raubtaten und zur Raubserie durch die „Herrin des Verfahrens“ erkennbar, die in aufbauorganisatorischen Schritten wie der Bildung einer Sonderkommission oder auch einem strategischen, langfristig angelegten Ermittlungsplan hätte bestehen können«[13]

Polizeiarbeit

Einsetzungsauftrag des Untersuchungsausschusses war es auch, die Arbeit der sächsischen Polizeibehörden mit Blick auf die Ermittlungen zu der Raub- und Überfallsserie sowie den Ermittlungen zum Wohnort des untergetauchten Kerntrios zu überprüfen. Dazu wurden zahlreiche Polizeibeamt*innen vernommen. Während der sächsische Verfassungsschutz in den ersten Jahren nach dem Untertauchen des Kerntrios keine Zusammenarbeit mit dem LKA Sachsen anstrebte, suchten die Thüringer Zielfahnder*innen den Austausch mit den Kolleg*innen in Sachsen. So formulierte der Zeuge Wunderlich, dass den sächsischen Polizeibehörden deutlich gemacht wurde, dass sie eigenverantwortlich handeln könnten. Ihnen wurde ebenfalls der Wissensstand der Ermittlungsarbeit in Thüringen mitgeteilt.[14] Während in den ersten drei Jahren nach dem Untertauchen zwar etliche Observationen unter Beteiligung sächsischer Polizeibehörden gegenüber Unterstützer*innen des NSU liefen, die Fahndung in Fernsehsendungen öffentlich gemacht wurde und Telefone abgehört wurden, so lässt sich mit Blick auf die Schilderungen der Zeug*innen resümieren, dass es an einem zentralen Konzept, einer gut organisierten und strukturierten Zusammenarbeit der verschiedenen beteiligten Behörden fehlte und der Fahndungsauftrag nach Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos längst nicht allen Dienststellen bekannt war. Beispielhaft sichtbar wurde dies, als Beate Zschäpe im Jahr 2006 nach einem Einbruch in der Polenzstraße 2 in der Polizeiwache Zwickau befragt werden. Tatsächlich ging sie zur Wache, gab sich als Susann Eminger aus und wurde begleitet von deren Partner André Eminger. Zu diesem Zeitpunkt war sie bereits acht Jahre erfolgreich »untergetaucht« und konnte sich offensichtlich sicher sein, dass es zu keiner Festnahme kommen würde.

Hervorzuheben ist außerdem der Ablauf und das Prozedere einer Observationsmaßnahme gegen den Chemnitzer Kai Seidel. Auch an diesem Beispiel wird das eher konzeptlose Handeln der verschiedenen beteiligten Behörden deutlich. Hintergrund des Einsatzes war eine Videoaufzeichnung, auf der Kai Seidel als Umzugshelfer vor der Bernhardstraße 11 in Chemnitz zu sehen war mit einer weiteren männlichen Person, die vom BKA als Uwe Böhnhardt identifiziert wurde. Bei dem Einsatz war das Mobile Einsatzkommando Chemnitz (MEK) sowie die Zielfahnder*innen des LKA Thüringen beteiligt. Parallel dazu waren auch Observant*innen des LfV Sachsen vor Ort, die eine Langzeitüberwachung der Bernhardstraße 11 durchführten. Die Observation von MEK und LKA Thüringen wurde jedoch aus unbekannten Gründen abgebrochen und anschließend an der Tür geklingelt, woraufhin Kai Seidel öffnete und aussagte, die Person auf dem Foto nicht zu kennen. Im Anschluss fuhren die Beamt*innen mit Seidel in dessen Wohnung, wo sie nichts Verdächtiges fanden. Nach der Befragung lief Seidel zu seiner Garage, holte einen Grill raus und verbrannte seelenruhig Dokumente. Weder wurde er daran gehindert, noch fanden die Beamt*innen diesen Vorgang besonders auffällig.[15] Der Auftrag sei gewesen, Kontaktpersonen festzustellen, das 20-minütige Verbrennen von Dokumenten habe damit jedoch nichts zu tun gehabt und sei kein Grund für ein Einschreiten gewesen.[16] Auch seine Freundin Mandy Struck – Blood & Honour Aktivistin und Unterstützerin der ersten Stunde – wurde am selben Tag nach der Person auf dem Foto befragt.

Wenngleich die Observationsteams laut Zeuge Wunderlich mit dem Ziel eines Aufschreckens der Naziszene und der Provokation einer Reaktion handelten, fehlte es an einem systematischen Handeln, welches möglicherweise zu Erfolgen bei der Fahndung nach dem »Trio« geführt hätte. Unklar blieb ebenso, warum während einer laufenden Ansprache durch die Zielfahnder*innen, die Observation des MEK Chemnitz unterbrochen wurde. Der Zeuge Sven Wunderlich verwies dabei nur auf die Notwendigkeit einer Arbeitspause für die Kolleg*innen.[17]

Die Folgesitzung im Untersuchungsausschuss lief unter Ausschluss der Öffentlichkeit zur Befragung der Mitarbeiter*innen 59 und 66 des LfV Sachsen ab, einen Einblick in die Aussagen der Mitarbeitenden des LfV Sachsen zu entsprechendem Fall konnten wir somit nicht bekommen.

Die Fraktionen der CDU und SPD kommen insgesamt zu dem Fazit:

»Die Frage, inwieweit Versäumnisse sächsischer Polizeibehörden dazu beigetragen haben könnten, dass der jahrelange Aufenthalt der Terrorgruppe in Sachsen unerkannt blieb, muss auf der Grundlage der zahlreichen Zeugenaussagen mit der Feststellung beantwortet werden, dass die sächsischen Polizeibehörden den ihnen obliegenden Verpflichtungen nachgekommen und insoweit keine Versäumnisse im Sinne des Untersuchungsauftrages erkennbar sind (…)«[18]

Wenngleich es mit Blick auf die Erkenntnisse des Untersuchungsausschusses keine Anlässe dafür gibt, eine aktive Unterstützung oder ein Decken des Kerntrios durch sächsische Polizeibeamt*innen anzunehmen, so kann durchaus von »Versäumnissen« gesprochen werden. Fest stand am Ende der Befragungen, dass die Polizei und Staatsanwaltschaft in Zwickau mit der Ermittlungsarbeit in der Frühlingsstraße überfordert waren, sodass die Generalbundesanwaltschaft die Ermittlungen übernahm.

Was folgt?

Wenngleich ein Untersuchungsausschuss als das »Schwert der Opposition“ bezeichnet wird und den Parlamentarier*innen Vernehmungs- und Vereidigungsrechte von Zeug*innen einräumen, so ist die Metapher des Schwertes wohl eher zu ersetzen durch das Bild einer trüben Lupe. Viel hängt vom Engangement der Abgeordneten ab. Allein durch die akribische Recherchearbeit und die ausgefeilten Fragen der Fraktion DIE LINKE, wurden manche Zeug*innen auch mal in Widersprüche verstrickt oder konnten sich bestimmten Antworten nicht vollständig entwinden. Insgesamt waren die eingeplanten Befragungszeiten nicht sonderlich umfangreich, häufig gab es nur zu zwei Befragungen pro Sitzungstag, die meistens nur eine Stunde umfassten. Die Perspektive der Betroffenen des NSU-Terrors ging im Untersuchungsausschuss unter, die Angehörigen der NSU-Mordopfer wurden nicht gehört. Die Perspektiven der Opfer der Raubüberfälle spielte immerhin in einer Sitzung eine Rolle, als der Zeuge Falko K. gehört wurde, auf den bei einem Überfall des NSU in Chemnitz geschossen wurde.

Nach Ende dieses Untersuchungsausschusses bleiben Fragen offen und es fehlt ein Instrument, dass auf diese offene Fragen Antworten liefern könnte. Eine unbefriedigenden Situation angesichts der Aktualität rechten Terrors. So konnte beispielsweise die Herkunft und die Beschaffungswege der Waffen, Munitionen und Sprengstoff des NSU nicht abschließend geklärt werden, wenngleich Hinweise auf Bezüge nach Sachsen  gegeben sind. Wir schließen uns daher Punkt 10 der Forderungen der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN an, die Nachermittlungen zu Waffen und Sprengstoffen des NSU fordern. Eine Leerstelle, die auch die Fraktionen von CDU und SPD benannten, ist die ausgiebige Beleuchtung der Arbeit der Justiz und deren Strafverfolgungspraxis.[19] Auch hier zeigt sich die Dringlichkeit einer Auseinandersetzung am konkreten Beispiel: Im Fall der Gruppe Freital verhinderte die sächsische Generalstaatsanwaltschaft Ermittlungen wegen eines Organisationsdelikts, auch Ermittlungen wegen des versuchten Mords fanden nicht statt. Erst durch die Übernahme der Ermittlungen durch die Generalbundesanwaltschaft änderte sich das. Am Ende stand ein OLG-Urteil gegen acht Angeklagte wegen des versuchten Mords in vier Fällen und der Bildung einer terroristischen Vereinigung.

Mit Blick auf den Verfassungsschutz zeigte sich auch in Sachsen, dass diese Behörde einer tatsächlich lückenlosen Aufklärung mehr im Weg stand, als dass sie einen Beitrag dazu geleistet hätte.

Positiv resümieren lässt sich, dass dank der Befragungen ein tiefgehender Einblick in die Funktionsweise und -logik der Behörden möglich wurde. Auch Themen, die in zivilgesellschaftlichen Aufarbeitungsprojekten bereits mehrfach problematisiert wurden wie die Rolle des Akzeptierenden Ansatzes in der Jugendsozialarbeit, wurden vom Untersuchungsausschuss aufgenommen und zumindest in Ansätzen behandelt.

Dem Forderungskatalog, aus dem Abweichende Bericht der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, können wir uns in allen Punkten anschließen. Hervorheben möchten wir dabei unsere Forderung nach:

  • einem Entschädigungsfond für die Angehörigen und Opfer des NSU,
  • Schaffung von Gedenkorten in Sachsen an die Opfer des NSU in Form von Mahnmalen, Straßenumbenennungen und diskursiven Erinnerungs- und Gedenkpraxen,
  • einer Aufnahme des Themenkomplex NSU in die Lehrpläne in Sachsen,
  • Förderung der wissenschaftlichen Aufarbeitung und der Etablierung einer Forschungsstelle Rechtsterrorismus in Sachsen,
  • der Etablierung eines Dokumentationszentrums in Zwickau oder Chemnitz zur Aufarbeitung von rechtem Terror, NSU und Rassismus als Bildungs- und Gedenkstätte,
  • der Entwaffung der extremen Rechten und der Entwicklung eines Gesamtkonzeptes zur Zurückdrängung der extremen Rechten,
  • dem Verbot von Combat 18 und der Einstufung als terroristische Vereinigung,
  • Ermittlungen zum Weiterbestehen von Blood&Honour Strukturen in Sachsen und ganz Deutschland.

 

[1] Stellungnahme der CDU-Fraktion und der SPD-Fraktion zum Abschlussbericht des 1. Untersuchungsausschusses der 6. Wahlperiode des Sächsischen Landtages »Neonazistische Terrornetzwerke in Sachsen«, S. 2

[2] Stellungnahme der CDU-Fraktion und der SPD-Fraktion zum Abschlussbericht des 1. Untersuchungsausschusses der 6. Wahlperiode des Sächsischen Landtages »Neonazistische Terrornetzwerke in Sachsen«, S. 2

[3] Bericht NSU Watch, 21. Sitzung vom 28. August 2017, https://sachsen.nsu-watch.info/index.php/2017/09/05/bericht-21-sitzung-28-august-2017/

[4] Ausführliche siehe Bericht NSU Watch, 21. Sitzung, 28. August 2017. https://sachsen.nsu-watch.info/index.php/2017/09/05/bericht-21-sitzung-28-august-2017/

[5] Stellungnahme der CDU-Fraktion und der SPD-Fraktion zum Abschlussbericht des 1. Untersuchungsausschusses der 6. Wahlperiode des Sächsischen Landtages »Neonazistische Terrornetzwerke in Sachsen«, S. 8.

[6] Ausführlich siehe Bericht NSU Watch Sachsen, 27. Sitzung vom 11. Dezember 2017, https://sachsen.nsu-watch.info/index.php/2018/01/10/bericht-26-sitzung-11-dezember-2017/

[7] Kleffner, Heike; Feser Anderas (Hg): Der NSU Untersuchungsausschuss. In: Bundeszentrale für Politische Bildung, Dossier Rechtsextremismus vom 18.11.2013. https://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/172857/der-nsu-untersuchungsausschuss ; Deutscher Bundestag, 17. Wahlperiode, Beschlussempfehlung und Bericht des 2. Untersuchungsausschusses vom 22.08.2013, DS 17/14600, S. 854.

[8] Stellungnahme der CDU-Fraktion und der SPD-Fraktion zum Abschlussbericht des 1. Untersuchungsausschusses der 6. Wahlperiode des Sächsischen Landtages »Neonazistische Terrornetzwerke in Sachsen«, S. 15f.

[9] Vgl. 3. UA, Protokoll Jens Merten v. 19.10.2012, S. 11

[10] vgl. Abweichender Bericht des 1. Untersuchungsausschusses der 6. Wahlperiode des sächsischen Landtages, BD III, S.592 f.)

[11] vgl. Bericht NSU Watch, 17. Sitzung vom 13. März 2017 https://sachsen.nsu-watch.info/index.php/2017/03/17/bericht-17-sitzung-13-maerz-2017/)

[12] Stellungnahme der CDU-Fraktion und der SPD-Fraktion zum Abschlussbericht des 1. Untersuchungsausschusses der 6. Wahlperiode des Sächsischen Landtages »Neonazistische Terrornetzwerke in Sachsen«, S. 6.

[13] vgl. Abweichender Bericht des 1. Untersuchungsausschsses der 6. Wahlperiode, Bd. III, S. 609 f.

[14] Vgl. 3. UA, Protokoll Sven Wunderlich v. 21.06.2013, S. 28.

[15] vgl. Bericht NSU Watch, 22. Sitzung vom 25. September 2017 https://sachsen.nsu-watch.info/index.php/2017/10/10/bericht-22-sitzung-25-september-2017/, Bericht NSU Watch 33. Sitzung vom 18. Mai 2018 https://sachsen.nsu-watch.info/index.php/2018/05/29/bericht-33-sitzung-18-mai-2018/

[16] vgl. 3. UA, Protokoll Sven Wunderlich v. 09.09.2013, S. 23.; Abweichender Bericht des 1. Untersuchungsausschuss, 6. Wahlperiode des Sächsischen Landtages, Bd. II, S. 338.

[17] vgl. 3. UA, Protokoll Sven Wunderlich v. 21.06.2013, S. 25.; Abweichender Bericht des 1. Untersuchungsausschuss, 6. Wahlperiode des Sächsischen Landtages, Bd. II, S. 336.

[18] Stellungnahme der CDU-Fraktion und der SPD-Fraktion zum Abschlussbericht des 1. Untersuchungsausschusses der 6. Wahlperiode des Sächsischen Landtages »Neonazistische Terrornetzwerke in Sachsen«, S. 7.

[19] Stellungnahme der CDU-Fraktion und der SPD-Fraktion zum Abschlussbericht des 1. Untersuchungsausschusses der 6. Wahlperiode des Sächsischen Landtages »Neonazistische Terrornetzwerke in Sachsen«, S. 11.)

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