Bericht 22. Sitzung – 25. September 2017

0

»Wir vom Dezernat 523«

Lutz Heckel arbeitet seit 32 Jahren als Polizist und seit 26 Jahren beim Landeskriminalamt (LKA) Sachsen. Dort ist er seit 1999 stellvertretender Dezernatsleiter im Fachbereich Verdeckte Fahndung beim Dezernat 523, das später zum Mobilen Einsatzkommando Staatsschutz wird. Er berichtet dem Untersuchungsausschuss, dass er am 17. November 2011 aufgefordert worden sei, eine Dienstliche Stellungnahme abzugeben, ob ihm frühere Einsatzmaßnahmen gegen das NSU-Kerntrio bekannt seien.

Heckel habe daraufhin das Auftragsbuch seines Dezernats 523 durchgeschaut. Dort habe er den Hinweis auf den 2. Mai 2000 gefunden. Die Zielfahndung des LKA Thüringen habe damals beim LfV Sachsen um Unterstützung gebeten für einen Observationseinsatz am 7. und 8. Mai 2000. Das sächsische LfV wiederum habe bei Heckels Dezernat nach Unterstützung gefragt: »Ich bin davon ausgegangen, dass alles in Ordnung ist«, so der Zeuge. Es habe am 2. Mai 2000 ein Vorbereitungstreffen gegeben, an dem die Einsatzleiter der eingesetzten Trupps teilgenommen hätten. Insgesamt fünf seien eingesetzt gewesen: Ein Trupp vom LfV Thüringen, drei vom LfV Sachsen »und wir vom Dezernat 523«. An Namen der Einsatzleiter könne sich der Zeuge nicht mehr erinnern, auch ein Operationsname sei ihm nicht mehr geläufig. Heckel selbst habe einen Trupp geführt, seinen Stellvertreter wollte er nicht nennen, an die anderen Truppführer könne er sich nicht erinnern.

»Rohrbombenbastler«

Einsatzort sei Chemnitz gewesen, warum dort, wisse er nicht, so der LKA-Beamte. Es sei um »Rohrbombenbastler« gegangen, erinnert sich Heckel. Sie hätten hier das erste Mal von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe erfahren – trotz bundesweiter Fahndung seit 1998. Heckel erklärt: »Wir handeln als Servicedienstleister.« Außerdem sei man an Vorschriften gebunden, sie hätten nicht »auf eigene Faust nach den drei Gesuchten fahnden« können. Sein Dezernat sei »ins Boot geholt« worden, damit exekutive Maßnahmen durchgeführt werden können.

Die Beamten hätten damals die Wohnung von Hendrik Lasch in der Paul-Bertz-Straße observiert, um dort Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe festzunehmen. Lasch habe zu deren Umfeld gehört. Die Observation sei aber »ohne Feststellung« geblieben und dann am 8. Mai abgebrochen worden. »Niemand« habe die Wohnung betreten oder sich ihr genähert. Das sei auch dem LfV Sachsen mitgeteilt worden, das diesen Einsatz offenbar koordiniert hat. Den Namen der Ansprechpartnerin im LfV Sachsen dürfe Heckel jedoch nicht nennen. Er solle dem Untersuchungsausschuss aber nachgereicht werden, erklärt der Beauftragte des Staatsministeriums des Inneren.

Absprachen mit dem SEK

Die Einsatzleitung habe beim thüringischen Zielfahnder Sven Wunderlich gelegen. Die Informationen über die Zielpersonen seien vom LfV Sachsen gekommen und hätten eine Personenbeschreibung, sowie Angaben zu Wohnort und Fahrzeugen enthalten. Anhand der Daten hätten sie die Gesuchten »identifizieren müssen«, so Heckel weiter. An Hinweise zu einer möglichen Bewaffnung der Zielpersonen oder zu Selbstschutzmaßnahmen könne sich der LKA-Beamte nicht mehr erinnern.

Die Aufgabe seines Trupps sei der Zugriff gewesen, erläutert Heckel. Die Situation sei jedoch »heikel« gewesen, weil in Wohnungen nur das SEK zugreifen dürfe. »Wir hätten außerhalb einen Notzugriff« durchgeführt, so der Zeuge. Für alles weitere habe es Absprachen mit dem SEK in Leipzig gegeben, das habe zugesichert, dass es binnen einer Stunde vor Ort sein würde.

Personen aufscheuchen

Dem Kriminalbeamten sei auch noch ein weiteres Datum aufgefallen: der 27. September 2000. Das Mobile Einsatzkommando (MEK) Chemnitz habe personelle Unterstützung angefragt. Vier Beamte seien dafür »überstellt« worden, soviel habe er noch nachvollziehen können. Dann habe er Akteneinsicht beantragt, um seine Erinnerungen zu diesem Vorgang »aufzufrischen«.

Es habe sich dann herausgestellt, dass es im September 2000 um eine Fahndungsmaßnahme nach dem »Trio« im Zuge einer »Kripo live«-Sendung gegangen sei. Mit der Fernsehsendung sei beabsichtigt gewesen, »die Personen aufzuscheuchen«.

Bundesweite Fahndung: nicht bekannt

Auf Nachfrage erklärt der Zeuge, dass es durchaus möglich sei, dass sein Dezernat bereits 1999 bei einer Observation bei Hendrik Lasch eingesetzt gewesen sei. Er ergänzt, dass sie aber auch eingesetzt worden seien, um im Auftrag der Soko Rex Skin-Konzerte aufzuklären. An Auffälligkeiten bei Observationen gegen Blood&Honour könne er sich nicht erinnern. Heckel verneint die Frage, ob sie 1999 das untergetauchte »Trio« hätten erkennen können: »Das war 1999 noch nicht bekannt.«

Bernd Czanderle: sächsischer Zielfahnder

Der zweite Zeuge, Bernd Czanderle, arbeitete im Mobilen Einsatzkommando (MEK) des LKA Sachsen. Seit 1996 sei er in der Organisationseinheit Zielfahndung/Vorrangfahndung tätig gewesen, das sei eine kleine »Servicedienststelle«: »Drei Leute im besten Fall«. Er habe in seinen zwölf Jahren etwa fünf bis sechs Fälle pro Jahr bearbeitet. Zugleich sei er auch Einsatzbeamter für das MEK gewesen. 2009 wechselte er dann zu Polizei Hessen.

Czanderle erläutert den Ausschussmitgliedern, dass er über eine Akteneinsicht einen Einsatz am 23. Oktober 2000 rekonstruiert habe. Eigene Erinnerungen an den Einsatz habe er keine mehr, erklärt der Zeuge, gibt dann aber durchaus detailierte Schilderungen. An diesem Tag habe Kollegen der Zielfahndung Thüringen bei einem Einsatz in Chemnitz unterstützt. Ziel sei gewesen Haftbefehle gegen Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe zu vollstrecken. Beide seien wegen eines Sprengstoffdelikts gesucht worden.

Videoaufnahmen des Trios aus Chemnitz?

Hintergrund des Einsatzes in Chemnitz sei eine Videoaufzeichnung vom 6. Mai 2000 gewesen. Darauf sei Kai Seidel als Umzugshelfer vor der Bernhardstraße 11 zu sehen gewesen und außerdem eine weitere männliche Person, die das BKA »mit Sicherheit« als Uwe Böhnhardt identifiziert habe. In einem anderen Videoabschnitt habe das BKA außerdem Beate Zschäpe erkannt. Die Adresse sei die Wohnanschrift von Mandy Struck gewesen. Im Oktober sei dann ein Anlauf unternommen worden, um Böhnhardt und Zschäpe auf die Spur zu kommen, so Czanderle.

An eine Vorbesprechung für den Einsatz könne sich der Zeuge nicht mehr erinnern, er vermute aber das es eine telefonische Absprache gegeben habe. Aus den Akten gehe außerdem hervor, dass durch die sächsischen Beamten sechs Anschriften überprüft worden seien. Mehr könne Czanderle dazu aber nicht sagen, da er nach einem einjährigen UN-Einsatz erst kurz vor dem Einsatz zurück auf die Dienststelle gekommen sei. Die Fahndung nach dem »Trio« sei ihm vor dem Einsatz nicht bekannt gewesen.

Abbruch der Observation – Grund unbekannt

Am Einsatztag sei das MEK Chemnitz mit der Observation von Kai Seidel beauftragt gewesen, geleitet habe den Einsatz der Zielfahnder Sven Wunderlich, dem außerdem drei weitere Thüringer Beamte zur Seite gestanden hätten. Von Czanderles Dienststelle sei er selbst und ein Kollege dabei gewesen. Besondere Sicherungsmaßnahmen seien ihm nicht erinnerlich, sie seien aber »jederzeit vorbereitet gewesen, eine qualifizierte Festnahme zu machen.« Das Fahndungsplakat mit Fotos der drei Gesuchten sei bekannt gewesen und die Ermittler seien imstande gewesen, sie zu erkennen.

Um 12:50 Uhr hätten die Beamten die Oberservation abgebrochen und an der Wohnung von Struck geklingelt, schildert der Zielfahnder den Tagesverlauf. Warum, wisse er nicht. Aber das Vorgehen sei durchaus »nicht unüblich«, wenn parallel zu Observationen Telefonüberwachungen laufen.

Verbrannt: wichtige Dokumente oder Liebesbriefe?

Die Wohnungstür geöffnet habe Kai Seidel. Ihm sei das Bild vom Mai 2000 vorgelegt worden, Seidel habe aber angeben, dass er die Person, die dort mit ihm zu sehen sei, nicht kennen würde. Das Gespräch selbst habe der Beamte nicht verfolgt, da er »im Außenbereich« gewartet habe. Im Anschluss seien die Beamten mit Seidel zu dessen Wohnung gefahren, hätten dort aber nichts feststellen können. Dass Seidel nach der Befragung einen Grill aus der Garage geholt und Dokumente verbrannt habe, davon habe Czanderle erst im Rahmen des Aktenstudiums gelesen. Bewerten könne er das nicht. Er wisse nicht, ob es »wichtige Dokumente oder Liebesbriefe« gewesen seien. Prinzipiell versuche die Polizei aber zu vermeiden, dass Observationen enttarnt werden.

Einsatzleiter Wunderlich und ein Kollege seien zwischenzeitlich zur Arbeitsstelle von Mandy Struck gefahren. Auch ihr sei das Foto vorgelegt worden, sie habe gesagt, dass es sich bei der zweiten Person um Daniel Heilmann handeln würde. Außerdem habe sie berichtet, dass Maik K. eine Waffe besitzen würde. Beides sei überprüft worden.

Hinweise von Struck

Der Verdacht gegen Maik K. habe sich nicht erhärtet, er sei von den Kollegen Wunderlich und Lein aufgesucht und befragt worden. Die hätten dann telefonisch übermittelt, dass keine scharfen Waffen festgestellt worden seien, sondern nur eine Luftdruckwaffe.

Mit Struck habe man sich zur Annaberger Straße 15 begeben und dort den benannten Daniel Heilmann »am Zugang zum Haus« angesprochen. Das Gespräch hätten die Thüringer Beamten geführt, während sich Czanderle und sein Kollege etwa »50 bis 100 Meter entfernt« aufgehalten hätten. Heilmann habe sich, so die Beobachtungen des Zielfahnders, mit einem gültigen Dokument ausweisen können. »Der Heilmann war dann auch der Heilmann und nicht Böhnhardt«, fasst der Zeuge zusammen. Der Gesamteinsatz sei daraufhin beendet worden. Struck sei bei Heilmann geblieben.

Von einer konspirativen Wohnung habe er nichts gewußt, beantwortet der Zeuge eine Nachfrage. Maßnahmen des LfV Sachsen seien ihm ebenfalls nicht bekannt gewesen. Seitens seiner Dienststelle seien ansonsten keine »eigenen Fahndungsmaßnahmen« nach den Untergetauchten initiiert worden, erklärt Czanderle.

Share.

Comments are closed.