Bericht 18. Sitzung – 7. April 2017

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  • Thema: Raubüberfälle des NSU in Zwickau und Chemnitz
  • Zeuge Thomas Otto, Kriminalbeamter
  • Zeuge Volker Flemig, Kriminalbeamter

Der erste Zeuge der heutigen Sitzung ist Thomas Otto, der seit 1990 bei der Kriminalpolizei in Zwickau arbeitet. Dort war bis 2007 insbesondere mit Raubstraftaten befasst und bildete mit dem heute ebenfalls geladenen Volker Flemig ein Team.

Er berichtet zunächst zu drei Überfällen in Zwickau im Jahr 2001, 2002 und 2006 auf Post- und Sparkassenfilialen. Bei diesen habe es Parallelen zu Banküberfällen in Chemnitz gegeben, weswegen man eng mit den Kollegen aus Chemnitz zusammengearbeitet habe. Insbesondere der Kollege Merten sei ihm in Erinnerung geblieben, so Otto. Die Taten habe man einer Raubserie zugeordnet, ebenso die Ende 2006 und Anfang 2007 verübten Raubüberfälle auf eine Bankfiliale in Stralsund. Anhaltspunkte dafür habe die verwendete Kleidung geboten, die Vorgehensweise und die Handhabung der Waffen. Die Täter habe man wegen der zur Vermummung verwendeten Bandana-Tücher »Bali-Bande« genannt.

Kennzeichen: Besondere Art von Brutalität

Die Raubserie sei »durch eine besondere Art von Brutalität gekennzeichnet« gewesen. Die Täter seien »richtig zur Sache« gegangen. Sie hätten den Schaltertresen übersprungen, außerdem seien Angestellte wiederholt mit Reizgas attackiert worden. Beim Überfall 2006 in Zwickau schoß der in diesem Fall allein agierende Täter einem Sparkassenazubi in den Bauch. Gefragt nach dem Umgang mit dem Geschädigten sagt der Zeuge, dass Opferschutz- und Fürsorgemaßnahmen damals noch nicht so »hoch angebunden« gewesen seien. Für ihn als Kriminalisten spiele die Verletzung »keine Rolle«, ihm sei daran gelegen, den Täter zu finden. Der Einsatz von Reizgas ändere die Strafrechtsnorm nach der verurteilt werde, aber nichts bei der Ermittlungsarbeit.

»Das LKA hat vermutlich anderes Zeug zu tun.«

Bei der Bearbeitung der Fälle habe man das »Standardprogramm« angewendet. Das umfasse die Vernehmung der Geschädigten, die Tatortarbeit und die Umfeldermittlungen. Darüberhinaus habe es Ringalarmfahndungen nach den einzelnen Überfällen gegeben, bei den Fahrzeuglisten erstellt worden seien. Zumindest gehöre das »eigentlich mit zum Programm«, so der Zeuge. Trotz Öffentlichkeitsarbeit über die MDR-Sendung »Kripo live«, später auch über »Aktenzeichen xy… ungelöst« habe es keine Hinweise auf die Täter gegeben. Es habe an Wiedererkennungszeugen, überhaupt an Spuren gefehlt. Für Otto seien die Verfahren »erfolglos ausermittelt« gewesen. Deswegen habe man sie dann an die Staatsanwaltschaft abgegeben. Eine Abgabe an das LKA Sachsen sei für ihn nicht nötig gewesen: »Das LKA hat vermutlich anderes Zeug zu tun.« Hinzu käme: »wir haben doch schon ganz eng« mit den Kollegen zusammengearbeitet, die etwa in Stralsund ermittelt haben.

Hinweise auf eine dritte Person?

Auf Nachfrage erklärt er, dass er sich an eine Begegebenheit erinnern kann, bei der eine weibliche Person »in Erscheinung getreten« sei. Das sei beim Überfall auf die Sparkasse in Zwickau-Auerbach gewesen. Der Zeuge bringt die Frau in Zusammenhang mit einem Transporter, »es könnte auch ein Wohnmobil gewesen sein«, zu dem aber nie Typ oder Kennzeichen hätte festgestellt werden können. Genauer könne sich Otto aber im Moment nicht erinnern, es müsse aber in den Akten stehen.

Er erinnert sich auch, dass bei einem Raub im Jahr 2001 ein Fahrrad »eine Rolle« gespielt habe. Man habe es an einer Hauswand gefunden, sichergestellt und auf Spuren untersucht, jedoch ohne Ergebnis. Man habe schon gedacht, da müssten doch »normalerweise« Spuren »dran sein«. Aber es gäbe »relativ häufig« solche negativen Ergebnisse.

Ralf Marschner: »Den hab ich eingesperrt«

Erinnerungen hat der Kriminalist auch an Ralf Marschner. »Selbstverständlich« wisse er, wer das sei, so Otto, schließlich habe er »den« als junger Beamter eingesperrt. Dass der »rechts« sei, »das war klar.« Damals ging es aber um einen Raub am Neumarkt in Zwickau, der aber nicht in Zusammenhang mit den Banküberfällen gestanden habe.

Nicht erinnern kann sich der Zeuge an die Vernichtung von Asservaten bezüglich des Raubes 2001. In der gesamten Untersuchung habe es keinen Kontakt zum Staatsschutz gegeben. Vom NSU habe er erst mit dessen Auffliegen erfahren. Von untergetauchten Nazis habe er »definitiv« nichts gewußt.

Ab 2007 sei er, so berichtet der Zeuge, nicht mehr mit der Raubserie befasst gewesen, daran habe sich auch nach der Zuordnung der Raubserie zum NSU im November 2011 nichts geändert. Noch einmal deswegen befragt worden sei er bisher nicht. Nach knapp einer Stunde beendet er seine heutige Aussage vor dem Untersuchungsausschuss.

Der zweite Zeuge: Volker Flemig 

Als nächstes hören die Parlamentarier/innen den Zuegen Volker Flemig, ebenfalls Kriminalbeamter bei der Polizei Zwickau und dort hauptsächlich mit Raub und Erpressung befasst. Er verweist zu Beginn seiner Ausführungen darauf, dass es in den 1990er Jahren eine Vielzahl solcher Banküberfälle gegeben habe und auch viele Mehrfach- und Serientäter. Deswegen habe es eine hohe »Polizeivernetzung« gegeben und einen starken Austausch von Informationen.

Seit Herbst 1999 sei in Chemnitz eine Serie bestehend aus drei Raubüberfällen erkannt worden, so Flemig. Von der hätten »wir auch in Zwickau« erfahren. Dieser Serie seien zunächst zwei Banküberfälle in Zwickau 2001 und 2002 zugeordnet worden, da die Beamten »Parallelen« festellen konnten. Flemig berichtet, dass die Begehungsweise, das Überwinden der Schalter und der Reizgaseinsatz die Zuordnung ermöglicht habe. Außerdem sei ein Linkshänder als Täter aktiv gewesen und die Beschreibung der Täter habe Übereinstimmungen aufgewiesen. Die gleiche Serie habe sich dann in Chemnitz mit vier weiteren Überfällen fortgesetzt, berichtet der Kriminalbeamte.

Eine Vermutung: Fahrräder und Transporter für die Flucht

Im Jahr 2006, setzt Flemig seine Ausführungen fort, habe es dann einen weiteren Überfall auf eine Sparkasse in Zwickau gegeben, ausgeführt diesmal von einem linkshändigen Einzeltäter, der zweimal seine Schusswaffe eingesetzt und einen Auszubildenden mit einem Bauchschuss schwer verletzt habe. Beute habe der Täter nicht gemacht. Trotz großer Anstrengung und dem zeitweisen Einsatz von drei Hubschraubern hätten die Ermittler aber niemanden finden können. Auch die nach einem Hinweis auf weggeworfene Gegenstände eingeleitete Suche in einer Müllsortieranlage blieb ergebnislos. Vermutet hätten die Ermittler bereits, dass die Täter auf ihrer Flucht Fahrräder und einen Transporter einsetzen, da sie nie zurückgelassene Fahrräder gefunden hätten. Konkrete Hinweise hätten sich hierzu aber nie ergeben.

Nur einen Monat später, im November 2006, sei dann in Stralsund eine Sparkasse überfallen worden. Da sei »wieder das Duo aktiv« geworden so der Zeuge. Das sei an der »unverwechselbaren« Waffenhandhabung zu sehen gewesen. Im Januar 2007 wurde die selbe Sparkasse zum zweiten Mal überfallen, auch der Überfall gehörte zur Serie. Dann gab es einen »Serienabbruch«, der aber mit der hohen Beute aus den Stralsund-Überfällen erklärbar sei, berichtet Flemig.

Eine »einmalige« Raubserie

Erst 2011 in Arnstadt tauchen die Täter wieder auf. Das sei nach einer sofortigen Rücksprache mit den Ermittlern vor Ort festgestellt worden. Die Beute bei diesem Überfall sei mit 17.000 Euro eher gering ausgefallen, weswegen auch Flemig damit gerechnet habe, dass »zeitnah« ein nächster Überfall erfolgt, jedoch nicht in der selben Bank, weil die Täter dort an einem automatischen »Kassenhäuschen« gescheitert seien. Die Ermittler hätten daraufhin verschiedene »Einsatzvarianten« vorbereitet.

Rückblickend schätzt Flemig die Raubserie als »einmalig« ein. Über den Hintergrund der Taten hätten sie nur Vermutungen anstellen können. Sie hätten erwogen es könnten »Auswanderer« sein, die nur für die Überfälle nach Deutschland kommen oder Jungunternehmer, die ihre Firma finanzieren, oder Täter aus dem Rotlichtmilieu. Dass es »Logistiktaten« einer Terrorgruppe waren, sei nicht erkennbar gewesen. Die Täter seien »professionell« gewesen und hätten »großen Wert« daraufgelegt, keine Spuren zu hinterlassen. Politische Motive bei Raubüberfällen seien laut Flemig »untypisch« und »ungewöhnlich«, die Vielzahl der sonst von ihm bearbeiteten Fälle seien »normale Kriminalität«. Die Täter sollen laut Zeugen »hießigen Dialekt« gesprochen haben, man habe daher auch vermutet, dass sie »aus dem hießigen Bereich« stammen.

Operative Fallanalyse: ohne Ergebnis

Zwischenzeitlich hätte sich sein Vorgesetzter auch an das LKA Sachsen gewandt und um eine Operative Fallanalyse gebeten. In Zwickau habe man sich davon »neue Ermittlungsansätze« erhofft, vor allem Hinweise auf die Persönlichkeit der Täter. Das LKA habe aber geantwortet, dass dieser Deliktbereich nicht für eine Fallanalyse geignet sei. Über die Jahre habe Flemig außerdem die »gesamten Meldungen« zu Banküberfällen im Bundesgebiet überprüft und »abgecheckt«, ob diese zu »unserer Serie« gehören. Das sei eine »Heidenarbeit« gewesen. Als sie vom Überfall in Arnstadt hörten, seien sie auf die Ermittler in Thüringen zugegangen und hätten auch eine Zusammenfassung mit den Besonderheiten der Serie zur Verfügung gestellt.

Eisenach-Überfall: Der rote Faden in der Hand

Beim Banküberfall in Eisenach am 4. November 2011 seien die Täter erneut mit Fahrrädern geflüchtet. Flemig sei etwa 10 Minuten nach der Tat von der Kripo Gotha informiert worden, dass Personen gesehen worden seien, die Fahrräder in ein Wohnmobil mit Vogtland-Kennzeichen geladen hätten. Er habe sich gefreut, weil er hoffte nun »den roten Faden« in die Hand zu bekommen, der zu den Tätern führt. Das Wohnmobil sei dann auch entdeckt worden, außerdem sei Flemig über die Schüsse, den Brand des Wohnmobils und die beiden Toten in Kenntnis gesetzt worden. Am gleichen Tag »noch vor 15 Uhr«  hätten sie den Vermieter des Wohnmobils aufgesucht. Der habe Holger Gerlach als Vermieter benannt, außerdem hätten die Kriminalisten die hinterlegte Bargeldkaution zur Spurensicherung beschlagnahmt. Von einer Hausexplosion habe er zwar Notiz genommen, so Flemmig, er sei dann aber erst am 5. November über einen möglichen Zusammenhang zur Raubserie informiert worden.

Das Wohnmobil: die Verknüpfung zur Frühlingsstraße

Ein Zeuge habe ausgesagt, dass das Wohnmobil in Eisenach zuvor in der Frühlingsstraße gestanden habe. Deswegen sei Flemig am Samstag aufs Revier gerufen worden und habe den Auftrag erhalten, den nicht in Mitleidenschaft gezogenen Kellerraum der Frühlingsstraße 26 zu durchsuchen. Dort angekommen, erlebte Flemig eine Situation »wie bei einem Straßenfest«. Viele Anwohner hätten vor der Absperrung gestanden und das Geschehen verfolgt. Es habe eine »Völkerwanderung« zum Brandort gegeben. Die Schutzpolizei habe aber eine Sicherung des Gebäudes und ein Absperrung der Umgebung gewährleistet. Vor Ort seien außerdem noch Feuerwehr und THW gewesen. Im Keller hätten sie dann eine »Bastlerwerkstatt« gefunden mit handelsüblichem Werkzeug, sowie Fahrräder und Holzbehältnisse, »eine Art Aktenkoffer«, mit einer Einbaumöglichkeit für Handfeuerwaffen und einem Laserpointer als Zielvorrichtung. Das sei auch alles fotografisch dokumentiert worden. Aufgefallen sei ihm am Keller außerdem eine Alarmanlage mit Verbindung zur Wohnung des Trios.

Nach der Einsturzsicherung im oberen Bereich des Gebäudes habe er mit Brandursachenermittler Lenk die Wohnung inspiziert. Dort seien auch noch drei bis vier Feuerwehrleute dabei gewesen, »Sachen zu verräumen«. Die Maßnahmen vor Ort seien aber »geordnet« abgelaufen, er habe »kein Chaos« festgestellt. Dennoch sei das für Flemig Anlass gewesen, einen PC-Tower sicherzustellen und ins Revier nach Zwickau zu bringen. Bei dem habe er nach Rücksprache mit Staatsanwalt Illing eine Festplattenauswertung beauftragt. In den ausgelesenen Daten habe sich unter anderem ein Internetverlauf befunden.

»Tücher, die mir nur zu gut bekannt waren«

Flemig habe am Sonntag dann den Mieter der Wohnung in der Frühlingsstraße Matthias Dienelt vernommen. Der habe berichtet, dass er in Zwickau erst eine Wohnung in der Polenzstraße und später dann eine in der Frühlingsstraße für »Max-Florian Burkhardt«, »Gerry« und »Liese« angemietet habe. Am gleichen Tag habe Flemig das erste Mal die Namen von Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe gehört. Dienelt habe nur Zschäpe sicher wiedererkannt, was laut Flemig aber am Alter der vorgelegten Bilder gelegen haben könnte.

In den nächsten Tagen sei Flemig im Rahmen der Ermittlungsgruppe »Frühling« mit der Auswertung weiterer Asservate beschäftigt gewesen, darunter »viele Bekleidungsstücke«, etwa »Tücher, die mir nur zu gut von den Bildern der Überfälle bekannt waren«, so der Ermittler. Außerdem habe es Stadtpläne mit Markierungen gegeben.

Später sei er wegen seiner Vorkenntnisse zur BAO Trio abgeordnet worden.  Dort habe er etwa bei der Durchsuchung und Vernehmung von Thomas Starke (heute: Müller) mitgewirkt. Der Name Ralf Marschner sage ihm etwas, so der Zeuge auf Nachfrage, er kenne ihn »als normalen Ganoven«. Dass Marschner für das Bundesamt für Verfassungschutz als V-Person tätig war, habe er vermutlich 2012 erfahren.

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