Bericht 35. Sitzung – 25. Juni 2018

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  • Thema: Fahndung nach dem untergetauchten Nazitrio
  • Zeuge Volker Wichitill, Kriminalbeamter der PD Dresden
  • Zeuge Dirk Belling, Datenschutzbeauftragter des LfV Sachsen

Mordermittler aus »Oje-Oje«

Erster Zeuge des heutigen Tages ist Volker Wichitill. Der 60-Jährige gibt an, dass er seit 17 Jahren mit Mordermittlungen befasst ist. Von 2005 bis 2012 habe er das Kommissariat 11 der Polizeidirektion Oberelbe-Osterzgebirge, inoffiziell gerne »Oje-Oje« abgekürzt, geleitet. 2012 wechselte er zur Polizeidirektion Dresden und übernahm 2015 die Leitung der dortigen Mordkommission.

Zu den in Einsetzungsbeschluss gestellten Fragen, so Wichtill, habe er keine Feststellungen gemacht. Vom NSU habe er das erste Mal »nach den Sachverhalten in Thüringen« aus den Medien erfahren. Allerdings wolle er zwei Aspekte hervorheben, einmal im Zusammenhang mit der Besonderen Aufbauorganisation (BAO) Bosporus, zum anderen bei der Überprüfung ungeklärter Tötungsdelikte nach dem Auffliegen des NSU.

Wichitill berichtet, dass er am 12. März 2007 an einer Informationsveranstaltung des Landeskrminalamts (LKA) Sachsen mit der BAO Bosporus teilgenommen habe. Aus jeder Polizeidirektion seien zwei Beamte »geladen« worden, ob sein Kollege H. dabei gewesen sei, könne er nicht mehr erinnern, auch weitere Teilnehmende könne er nicht mehr benennen. Die einzelnen Sachverhalte der Mordserie seien durch die BAO dargelegt worden, erläutert er. Hervorgehoben worden sei die Handlungsweise der Täter und das Opferprofil. Ziel der Veranstaltung sei gewesen, so Wichitill, »die Reaktionszeit zu verkürzen« und die Beamten zu sensibilisieren, damit bei ähnlichen Fällen schnell die BAO informiert und ggf. hinzugezogen werde. Außerdem habe es Handlungsanleitungen gegeben, etwa hinsichtlich der Spurensicherung. So sei darauf hingewiesen worden, dass etwaige Hülsen schnell auf etwaige DNA-Spuren geprüft werden sollen.

Informationsveranstaltung: Kein sauberes Motiv benannt

Im Hinblick auf die Tatmotivation, die bei Mordfällen »eminent wichtig« sei, so der Ermittler, seien »verschiedene Richtungen« dargestellt worden, es habe aber noch kein »sauberes Motiv« gegeben. In der »Versionsbildung« über mögliche Tathintergründe hätte ein Ausländer als Täter eine Rolle gespielt: »Das war nicht sauber zu bestätigen, aber auch nicht auszuschließen.« Ob Ausländerhass als mögliches Motiv angesprochen wurde, daran könne sich der Kriminalbeamte nicht erinnern. Für seinen damaligen Zuständigkeitsbereich Oberelbe-Osterzgebirge, schließt Wichitill ab, hätten sich aus der Veranstaltung aber keine Anhaltspunkte für Ermittlungen ergeben bzw. keine Hinweise, die zur Festnahme der Täter hätten führen können.

Am 27. März 2007, so der Zeuge weiter, habe er ein Papier verfasst zur internen Information über die Mordserie im Bereich seiner Polizeidirektion. Dieses habe er anschließend »an die Leitungsebene« übersandt. Daran anschließend habe er sechs Lageberichte erhalten, die er »analysiert und ausgewertet« habe. Aber auch hier hätte sich »keinerlei Hinweise« für einen Bezug zu seinem Zuständigkeitsbereich ergeben.

Insgesamt vier Ermittlungsgesuche

Die BAO habe außerdem zwei Ermittlungsgesuche an die Mordermittler gerichtet. Im ersten Fall sei es um Funkzellen- und SMS-Daten gegangen, die im Bereich Nürnberg im Zuge der Ermittlungen zu einem Mordfall angefallen seien und zu einer Person aus Freital führten. Die Person sei überprüft worden, ein Zusammenhang mit »den Handlungen in Nürnberg« habe sich nicht ergeben. Die SMS hätten sich lediglich als unverdächtige Kommunikation zwischen zwei Eheleuten herausgestellt.

Im nächsten Fall sei es um die Überprüfung einer Person gegangen, die legal eine Česká-Waffe besessen habe. Ausgangspunkt war eine bundesweite »karteimäßige Überprüfung« entsprechender Waffenbesitzer. Geprüft werden sollte, so Wichitill, ob Straftaten zu den Personen bekannt seien, außerdem sollten vor Ort die Waffenbesitzkarte überprüft und die Waffe vorgelegt werden. Dabei sei insbesondere auf Veränderungen am Lauf zu achten gewesen. Wenn diese vorgelegen hätten, wäre die Waffe einzuziehen und zu prüfen gewesen. Wichitill sagt, dass es im konkreten Fall um den Leiter des Dezernats Prävention des LKA Sachsen gegangen sei: »Daher war das leicht.« Ein Tatzusammenhang habe sich nicht ergeben.

Von der Ermittlungsgruppe »Sprengstoff«, die zum Nagelbombenanschlag am 9. Juni 2004 in der Kölner Keupstraße ermittelte, sei die Überprüfung einer ausländischen Person erbeten worden. Nachdem diese ohne Ergebnis vorgeladen worden sei, habe man versucht, sie in Radebeul aufzusuchen. In Rücksprache mit dem Einwohnermeldeamt habe sich aber ergeben, dass die entsprechende Adresse häufig als Meldeadresse »für ausländische Arbeitnehmer« genutzt wurde. Die konkrete Person jedoch war dort nicht aufzufinden.

Die Sonderkommission »Parkplatz«, die die Tötung der Polizistin Michèle Kiesewetter untersuchte, habe ebenfalls einmal um Unterstützung gebeten. Dabei sei es um die Identifizierung und Überprüfung einer Frau aus Radebeul gegangen und um den Abgleich von DNA-Spuren. Hinweise auf den oder die Täter hätten sich nicht ergeben, so Wichitill.Tatsächlich habe sich später herausgestellt, dass die DNA-Spur zum sogenannten »Phantom von Heilbronn« gehörte.

Auf Nachfrage erklärt er, dass die Ersuchen, »direkt an uns gesteuert« worden seien, denn das sei »das normale Vorgehen.« Ob das Dezernat 71 des LKA Sachsen mit involviert gewesen sei, wisse er nicht, halte er aber auch für möglich.

Nach Auffliegen des NSU: Überprüfung ungeklärter Tötungsdelikte

Nach »dem Auffliegen« des NSU sei es außerdem darum gegangen, ungeklärte Tötungsdelikte erneut zu überprüfen. Der Auftrag dazu stamme vom 19. März 2012, erklärt der Ermittler. Zu Beginn seien 190 Delikte ausgemacht worden, die als ungeklärt gegolten haben. Gesucht worden sei nach Mord bzw. Totschlag ab 1990 in Sachsen. Die Fallzahl sei dann noch vom LKA »sehr schnell« auf 73 reduziert worden. Der Beamte erläutert, dass dabei solche Fälle ausgeschlossen worden seien, die zwar zunächst als Tötungsdelikt erfasst wurden, bei denen sich im Laufe der Ermittlungen aber herausgestellt habe, dass keine vollendete Tötung vorliegt. Die 73 übrig gebliebenen Fälle seien an die örtlich zuständigen Polizeidirektionen zur Überprüfung übergegeben worden. Wichitill erklärt, dass das für den Bereich Oberelbe-Osterzgebirge sieben Sachverhalte gewesen seien und für den Bereich Dresden neun.

Die Fälle seien gesichtet, analysisert und verglichen worden, so der Beamte weiter. Dabei sei man Vorgaben des Bundeskriminalamts (BKA) gefolgt, die etwa besonders auf den Status des Opfers und dessen Aussehen fokussiert hätten, aber auch die Tatbegehung und das Vor- und Nachtatverhalten. Drei Fälle seien besonders wichtig gewesen, so Wichitill: die Tötung der Silbermann-Brüder 1995, die Tötung von Marko W. 2002 bei Seifhennersdorf, sowie der gewaltsame Tod von Vera Marotz 2004 in Nünchritz. In allen Fällen hätte es jedoch keine Hinweise gegeben, dass der NSU involviert gewesen sei.

Auf Nachfrage erläutert Wichitill, dass bei diesen Altfällen »sehr viel« in Richtung politische Kriminalität rechts ermittelt worden sei. Der Silbermann-Fall sei zwar vor seiner Zeit gewesen, aber im Fall Marotz habe er selbst sehr viel gemacht. Der Status von Vera Marotz sei »entscheidend« gewesen, weil der auf ein mögliches rechtes Tatmotiv hinweisen könnte. »Das sind Taten, die uns sehr bewegen«, erklärt Wichitill.

Fragen nach dem Löschmoratorium: Ohne den Beauftragten der Staatsregierung

Der Grünen-Abgeordnete Lippmann fragt Wichitill nach dem Löschmoratorium. Der Ausschussvorsitzende Rohwer hakt hier kurz ein: Bei Fragen zu diesem Themenkomplex müsse einer der Beauftragte der Staatsregierung, Dr. Matthias Falk, den Raum verlassen, weil er durch zwei Fraktionen als Zeuge zum selben Thema benannt wurde. Die beiden Beauftragten reagieren überrascht und verweisen darauf, dass dieser Antrag wohl noch nicht beschlossen sei. Daraufhin wird die Sitzung für fünf Minuten unter Ausschluss der Öffentlichkeit weitergeführt. Das sichtbare Ergebnis bei öffentlicher Fortsetzung der Sitzung: Der Regierungsbeauftragte verlässt den Saal.

Wichitill erklärt zur Ausgangsfrage, dass er vom Begriff gehört habe, er könne sich aber nicht an entsprechende Papiere oder Dienstanweisungen erinnern. Er verweist auch darauf, dass die Taten noch in Bearbeitung seien. Da die Hauptverhandlung in München noch laufe, würden die Löschfristen noch nicht beginnen. Bei Mord liegen diese bei 20 Jahren: »Da fließt noch viel Wasser die Elbe runter«, so der Beamte.

Nach etwas über einer Stunde wird die Befragung beendet.

Datenschutzbeauftragter beim LfV: Ohne besondere Qualifikation

Nächster Zeuge ist Dirk Belling, Verwaltungsbeamter und Datenschutzbeauftragter beim Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Sachsen. Seit 2010 sei er beim LfV in der »Haushalts-Abteilung« tätig, ab 2012 habe er die Leitung des Referats Recht und Personal sowie den Posten des Datenschützers übernommen. Von August 2016 bis Mai 2017 habe er kommissarisch ein anderes Referat geleitet, mittlerweile sei er aber zurück auf seinem alten Posten und damit auch wieder Datenschutzbeauftragter. Eine besondere Qualifikation sei dafür nicht nötig, erklärt er auf Nachfrage. Regelungen dazu fänden sich im Datenschutzgesetz und neuerdings in der Datenschutzgrundverordnung. Als Datenschutzbeauftragter unterstehe er nur dem Amtspräsidenten, so Belling, gleichzeitig erfülle er auch »Linien-Aufgaben« innerhalb »der Hierarchie«.

Zu seinen Aufgaben als Datenschutzbeauftragter gehöre dabei die Beantwortung von Auskunftsersuchen und die Entscheidungen über Aktenvernichtungen, berichtet Belling. Außerdem habe es auch behördeninterne Überprüfungen gegeben. Dazu sei lange Zeit mit einem Zufallsgenerator der »Datensatz der Woche« aus den Behördendateien ausgewählt worden. Bei diesem Datensatz sei anschließend geprüft worden, ob Namen richtig geschrieben wurden, Belege vorhanden waren und ob es gegebenenfalls unzulässige Eintragungen im Freitextfeld gab, so der LfV-Mitarbeiter. »Nachdem klar war, wie der Satz ausgewählt wird«, sei das Verfahren durch Datenschutzkontrollen ersetzt worden, die »zufälliger« seien. An der Stelle interveniert der Beauftragte der Staatsregierung Kurth: Der Zeuge dürfe nicht allgemein zum Datenschutz beim LfV befragt werden.

9000 Datensätze

Belling berichtet, dass am 19. Juli 2012 das erste Aktenvernichtungsmoratorium erlassen worden sei. Das sei allen Mitarbeitern »per E-Mail« mitgeteilt worden. Später seien konkrete Ausführungsbestimmungen nachgereicht worden: Seither müssen zu vernichtenden Akten ihm als Datenschutzbeauftragten »persönlich übergegeben« und »gesperrt«, also »aus der Registratur ausgetragen« werden. Belling erklärt, er habe in den zurückliegenden sieben Jahren 9.000 Datensätze angenommen, die dann gesperrt worden seien. Das seien »mehrere Aktenmeter«, aber auch digitale Daten.

Zum Grund für das Löschmoratorium sagt Belling, dass es »keine besonderen Vorkommnisse« gegeben habe. Das Moratorium »lag schon in der Luft«, so der LfV-Mitarbeiter weiter. Einen konkreten Anlass könne er nicht nennen, er habe sich das auch gefragt. Der Abgeordnete Lippmann will wissen, ob das Moratorium im Zusammenhang mit einem Schreiben des Sächsischen Datenschutzbeauftragten vom 16. Juli 2012 gestanden habe. Belling bestätigt, dass er das Schreiben des Sächsischen Datenschutzbeauftragten kenne. »Ja, es kann sein«, so Belling, dass das der Auslöser für das Löschmoratorium gewesen sei, um dann zu ergänzen: »Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen.«

»Hereingetastet«

Nachgefragt wird, welche Maßnahmen jenseits der Mail an die LfV-Mitarbeiter getroffen wurden. Belling verweist auf Ausfrührungsregelungen, die getroffen worden seien. Außerdem habe organisiert werden müssen, wo die gesperrten Akten untergebracht werden. Dazu nutze man einen Aktensicherungsraum, wo nur er Zugriff habe. Außerdem habe Belling viel »mit den Leuten geredet«. Man habe sich »hereingetastet«, um eine Verfahrensweise zu finden.

Am 3. August 2012 habe es dann einen Erlass des Staatsministeriums des Inneren gegeben. Alle Akten aus dem Phänomenbereich Rechtstextremismus vor dem 7. März 2012 – zu diesem Tag wurde der erste sächsische NSU-UA eingerichtet – dürfen nicht gelöscht werden. Das sei als Verfügung des Vize-Präsidenten am 10. August 2012 »wieder per Mail« allen Mitarbeitern mitgeteilt worden. Für alle anderen habe Akten habe das alte Moratorium weiter gegolten.

Am 1. Juli 2013 sei dann eine Hausverfügung zum Löschen von Dateien und Akten gefolgt. Darin seien Regelungen getroffen worden zum Umgang mit Akten aus anderen Phänomenbereichen. Bei denen gelte die »normale Vernichtung«, es sei denn, es gäbe einen Bezug zum Rechtsextremismus. Zu klären sei auch gewesen, so Belling, wie das Moratorium im damals neuen NADIS-WN (Nachrichtendienstliches Informationssystem) zu händeln sei. Dafür sei eine eigene Regelung nötig geworden. Die sei dann mit der neuen Hausverfügung von 2015 erfolgt.

Nach ca. 30 Minuten wird die Öffentlichkeit von der weiteren Befragung ausgeschlossen.

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