Bericht 34. Sitzung – 28. Mai 2018

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  • Thema: Fahndung nach dem untergetauchten Nazitrio
  • Zeuge Rolf Scheibe, pensionierter Polizeibeamter, LKA Sachsen
  • Zeuge Volker Höhne, pensionierter Polizeibeamter, LKA Sachsen
  • Heiko Schmiedel, Polizeibeamter, ehemals Leiter des Dezernats Staatsschutz in Chemnitz

Der Zeuge Rolf Scheibe hat Werkzeugmacher gelernt, nach dieser Ausbildung sei er dann zur Kriminalpolizei gegangen. Später, von 1993 bis 2005, habe er das Dezernat Auswertung im Bereich Organisierte Kriminalität (OK) beim Landeskriminalamt (LKA) Sachsen geleitet. Anschließend, bis 2009, sei er dort stellvertretender Leiter gewesen.

Scheibe erklärt mit Hinweis darauf, dass die Ereignisse »mehr als zehn Jahre zurück liegen«, dass seine »Detailerinnerungen« eingeschränkt seien. Er sei als Leiter des Dezernats Auswertung vor allem für die Prüfung und die Bearbeitung von Erkenntnisanfragen zuständig gewesen. Täglich habe es »zwischen 50 und 70 Fernschreiben« gegeben, die bearbeitet werden mussten. Ziel sei gewesen, Delikte aus dem OK-Bereich zu erkennen, zu analysieren und mögliche Schwerpunkte in Sachsen auszumachen. Er selbst sei in dieser Funktion im wesentlichen in der Dienststelle und nur »in Ausnahmefällen« vor Ort gewesen.

»Ein stabiler Ansprechpartner« für die BAO »Bosporus«

Um 2005 und 2006 habe man für die Besondere Aufbauorganisation (BAO) »Bosporus« der Kripo Nürnberg und die Ermittlungsgruppe (EG) »Ceska« des Bundeskriminalamts (BKA) »zahlreiche Anfragen geprüft und beantwortet«. BAO und EG hätten in der bekannten bundesweiten Mordserie, »genannt die Dönermorde« ermittelt, erklärt Scheibe. Sein Dezernat OK habe »die zentrale Koordinierung« übernommen, weil die BAO »einen stabilen Ansprechpartner haben und nicht mit zehn bis 15 Dienststellen sprechen wollte«. In Sachsen selbst habe es keinen Tatort gegeben, deswegen habe die Zuständigkeit nicht in Sachsen gelegen, sondern immer bei der BAO. Dementsprechend sei man den Vorgaben der BAO gefolgt. In einem Schreiben des BKA habe etwa gestanden, die Opfer seien Mitglieder einer kriminellen Vereinigung, erläutert Scheibe. In einer anderen Mitteilung sei formuliert worden, dass die Möglichkeit bestehe, es handele sich um Auftragsmorde, der Hintergrund könnten Rauschgiftgeschäfte sein.

Scheibe berichtet, die BAO habe angefragt zu Bezugspersonen, Telefonanschlüssen und den entsprechenden Inhabern, türkischen Unternehmen, Verbindungspersonen, Waffenhändlern. Das BKA habe auch eine angebliche »Türkische Hizbullah« ins Spiel gebracht. Zu der hätten aber beim LKA Sachsen gar keine eigenen Erkenntnisse vorgelegen, auch ein mögliche Zelle der Gruppierung in Leipzig sei nicht bekannt gewesen. Außerdem sei ein anonymes Schreiben Thema zwischen den Behörden gewesen und das Dezernat OK habe »in eigener Motivation« Auswertungen vorgenommen, was für Gruppierungen in Sachsen in Frage kommen könnten.

Ceska-Morde? Organisierte Kriminalität!

Weiterhin habe es am 12. März 2007 ein Treffen beim LKA gegeben, eine Art »Info-Veranstaltung«. Das sei »durch den Führungsstab des LKA ins Leben gerufen« worden. Eingeladen waren Vertreter der Stabsbereiche der Polizeidirektionen und der LKA-Fachdienste. Es habe mehrere Referenten gegeben, darunter »niemand aus Sachsen«, so Scheibe. Im Mittelpunkt habe der aktuelle Ermittlungsstand der BAO »Bosporus« gestanden. Außerdem seien »persönliche Absprachen unter Einbeziehung des Staatsschutzes« getroffen worden. Scheibe erklärt, er habe selbst daran teilgenommen. Er sei aber davon ausgegangen, »dass die Mordserie im OK-Bereich liegt«.

Die stellvertretende Ausschussvorsitzende Köditz fragt den Ermittler nach einem Fernschreiben vom 11. April 2006. Darin wird fünf Tage nach dem Mord an Halit Yozgat in Kassel der Sachverhalt zur Kenntnisnahme übermittelt. Auf Nachfrage, warum im Verteiler des Fernschreiben das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Sachsen auftaucht, erklärt Scheibe, dazu wisse er nichts, weil er den Verteiler nicht aufgesetzt habe. In jeder Dienststelle gäbe es einen »Fernschreibenrechner«, »der Erste, der das bekommt, entscheidet, wie damit umgegangen wird«, so der ehemalige LKA-Beamte weiter. Wer beim fraglichen Fernschreiben Erstbearbeiter gewesen sei, könne er so nicht sagen. Dass im Mordfall in Kassel ein LfV-Mitarbeiter aus Hessen unter Tatverdacht stand, sei Scheibe nicht bekannt gewesen. Er erklärt aber: »Schwere Straftaten müssen geteilt werden.«

»Täter männlich, mit hoher Wahrscheinlichkeit Ausländer«

Ein nächstes vorgelegtes Fernschreiben vom 18. April 2006 zur gleichen Tat enthält eine Täterbeschreibung: »Täter männlich, mit hoher Wahrscheinlichkeit Ausländer«. Scheibe wird gefragt, ob es eine Möglichkeit gibt, hier nachzufragen, woher diese Täterbeschreibung kommt. Der Zeuge erklärt, man könne schon nachfragen, ob er das gemacht habe, könne er aber nicht erinnern. Er gehe davon aus, dass die Informationen aus den Fachdienststellen in München gekommen seien.

Die stellvertretende Ausschussvorsitzende fragt auch, warum das LKA Sachsen ausschließlich Personen überprüft habe, die in der Türkei geboren wurden. Scheibe antwortet, dass in den entsprechenden Anfragen »dieser Bereich favorisiert« worden sei. Er selbst habe kein Ermittlungsverfahren geführt und müsse daher darauf vertrauen, dass die Informationen richtig sind . Informationen mit Hinweisen auf einen anderen Tathintergrund außerhalb des Bereichs »Organisierte Kriminalität« hätten nicht vorgelegen. Der Aussage entgegen steht ein Spiegel-Artikel aus dem Jahr 2008, der den LKA-Ermittlern per E-Mail zugegangen ist. Darin wurde unter anderem auch ein rechtes Tatmotiv für die Mordserie vermutet.

Bürgerinitiative gegen die Islamisierung Deutschlands?

Dem Zeugen wird ein anonymes Schreiben einer »Bürgerinitiative gegen die Islamisierung Deutschlands durch Unterwanderung« vorgelegt, dass im April 2006 beim Polizeirevier Dresden-Cotta eingegangen sei. Nach der Inaugenscheinnahme erklärt Scheibe, dass das Schreiben »bei uns nachrichtlich aufgeschlagen« sei, der Staatsschutz Dresden habe das damals zugesandt. Man habe die genannte Institution »überprüft«, es hätten aber keine Erkenntnisse vorgelegen. Veranlassung, nach einen Einzeltäter zu suchen, habe es nicht gegeben. Der Gedanke, dass die Taten im Zusammenhang mit Organisierter Kriminalität stehen, sei »immer dominant« gewesen. Das Schreiben selbst sei aber auch an die BAO »Bosporus« weitergeleitet worden.

Nach etwa 50 Minuten endet die Befragung.

Volker Höhne: »Sehr erstaunt« über die Ladung

Zweiter Zeuge in der heutigen Sitzung ist Volker Höhne. Der ehemalige Leiter der Abteilung 7 des LKA Sachsen sei »erstmal sehr erstaunt« gewesen über seine Ladung, »da mich der Sachverhalt im Dienst oder danach nicht berührt hat.« Er habe erst im November 2011 davon erfahren, entsprechend könne er nichts zu den Fragen im Einsetzungsbeschluss sagen. Als Abteilungsleiter, berichtet Höhne, sei vor allem mit Personalarbeit und organisatorischen Dingen zwischen den Dezernaten befasst. Mit Fallarbeit sei er nur »ab einem bestimmten Ausmaß« befasst.

Auf Nachfrage erklärt Höhne, dass es bei der Abteilung 7 um die »besondere Verbrechensbekämpfung« gegangen sei, darunter etwa Organisierter Kriminalität oder Wirtschaftskriminalität. Das Dezernat 71 sei für die Auswertung zuständig gewesen, es habe die Kriminalität im Land beobachtet, um gegebenenfalls Schwerpunkte auszumachen. Es sei nicht prinzipiell für Kontakte zu anderen Bundesländern zuständig, erläutert Höhne auf Nachfrage: »Das kommt auf den Sachverhalt an.« Anfragen »laufen beim Präsident auf« und würden dann an das zuständige Dezernat weitergegeben. Es könne sein, dass die BAO Bosporus mit dem Dezernat 71 in Kontakt gestanden habe.

Rechtsextremismus: Nicht in den Sinn gekommen

An die BAO könne er sich aber nur »schwach« erinnern. Aber »natürlich« habe die Ceska-Mordserie eine Rolle gespielt, »man ist davon ausgegangen, dass es Bezüge zur Organisierten Kriminalität gegeben hat«, fällt Höhne wieder ein. Das sei die Hypothese gewesen, an andere könne er sich nicht erinnern.

Die Informationsveranstaltung beim LKA zur BAO Bosporus habe es gegeben, er habe daran aber nicht teilgenommen, sondern nur den Konferenzraum bestellt. Über Details zu den Teilnehmern könne er daher nichts sagen.

Höhne bestätigt erst auf Nachfrage und am Ende der Befragung, dass er von 2005 bis 2006 die Kriminalpolizeiinspektion Chemnitz geleitet habe. In diesen Zeitraum haben auch Raubüberfälle des NSU stattgefunden. Höhne erklärt, ihm sei nicht in den Sinn gekommen, dass die Überfälle etwas mit Rechtsextremismus zu haben könnten.

Die Befragung endet nach gut 20 Minuten.

Heiko Schmiedel: Staatschützer in Zwickau

Dritter Zeuge ist Heiko Schmiedel, der derzeit in Leitungsfunktion beim Polizeirevier Aue arbeitet. Geladen ist er, weil er von Oktober 2001 bis 2004 Sachbearbeiter beim Staatsschutz Chemnitz war und anschließend zur Staatsschutzabteilung der Polizeidirektion Südwestsachsen wechselte, die unter anderem für Zwickau zuständig war. Dort war er von Anfang 2005 bis Ende 2006 stellvertretender Dezernatsleiter Staatsschutz, dann sei er nach Aue gewechselt, wo er 2011 die Leitung des Reviers übernahm.

Schmiedel erklärt, er habe von 2001 bis 2011 nichts von der Existenz von Böhnhard, Mundlos und Zschäpe wahrgenommen: »Die Suche ist mir nicht begegnet.« Jedoch habe er in seiner Staatsschutztätigkeit Kontakt mit Personen gehabt, die heute zum NSU-Umfeld gerechnet werden. Ralf Marschner habe in Zwickau den Last Resort Shop betrieben und dort »Bekleidung und Devotionalien aus dem rechten Szenebereich« angeboten. Außerdem sei er bei der Band Westsachsengesocks aktiv gewesen und eine zentrale Figur der Fanszene Zwickau und der Gruppierung Red Kaos gewesen. Bekannt sei außerdem, so Schmiedel weiter, Peter Klose. In dessen Umfeld hätten sich die Freien Kräfte Zwickau entwickelt, »unter anderem mit Gerber, Peschek und [Thomas] Gerlach, die dort als zentrale Figuren für uns eine Rolle spielten.«

Eine Personenzahl »deutlich unterhalb der 50«

Die Eminger-Brüder aus Johanngeorgenstadt seien ebenfalls bekannt gewesen. Es sei Propaganda des »Schutzbund Deutschland« verbreitet worden, dem Maik Eminger angehört habe und auch mit Schmierereien gegen den Fussballnationalspieler Gerald Asamoah und Aufrufen zum Wahlboykott aufgefallen sei. Weiterhin habe es mit Michael und Antje Probst einen »Internethandel« gegeben, der in Aue »gegenüber dem Kulturhaus« angesiedelt gewesen sei. Im Sonnentanz seien unter anderem Thor Steinar-Bekleidung und Tonträger verkauft wurden: »Vergleichbar mit dem Last Resort Shop in Zwickau bzw. dem Ragnarök in Mylau«.

»Regelmäßig« habe man es in ihrem Einzugsgebiet – Zwickau, Vogtland und Teilen des Erzgebirges – mit einer Personenzahl »deutlich unterhalb der 50« zu tun gehabt, erklärt Schmiedel zur Frage nach seiner grundsätzlichen Einschätzung zur rechten Szene. Das Fallaufkommen sei »keine signifikante Größe für Sachsen« gewesen: »Zumindest das was uns bekannt war.« Mit White Resistance und Blitzkrieg habe es außerdem einschlägige Bands gegeben.

Schmiedel wird nach Schnittmengen zum Rockermilieu gefragt. Das sei eine schwierige Frage, antwortet Schmiedel, damals sei das noch nicht das Thema gewesen, »was es später geworden ist«. In Plauen hätte es aber Überschneidungen zur Türsteherszene gegeben, außerdem seien dort »erste Gehversuche« für Freefight-Veranstaltungen unternommen worden.

Lediglich ein Fall mit Waffenbezug sei ihm in Erinnerung, so der ehemalige Staatsschutzbeamte. Dabei sei es um einen Reichsbürger in Reichenbach gegangen. 2005 oder 2006 hätte es erste Erkenntnisse dazu gegeben, »ein, zwei Jahre später« seien dann »umfangreiche Durchsuchungen« gefolgt.

Auf Nachfrage gibt Schmiedel an, dass er für die laufenden Ermittlungen seit November 2011 nicht hinzugezogen oder befragt worden sei.

Nach 2011 sei die Stadtverwaltung an die Polizei Aue herangetreten, daraufhin habe man der Ortspolizei Hintergründe zum Sonnentanz-Geschäft zugearbeitet. Anlass seien Anwohnernachfragen wegen der hohen Präsenz von MedienvertreterInnen gewesen. Der Name Carsten Szczepanski sage Schmiedel »in diesem Zusammenhang« nichts.

Treffen mit dem LfV: Ausnahme bei »ausgesuchten Sachverhalten«

Thematisiert wird anschließend ein Treffen vom 2. November 2006 zwischen dem Staatsschutz, vertreten durch Schmiedel und Herrn Andrä, sowie drei Mitarbeitern des LfV Sachsen. Jedoch äußert Schmiedel Zweifel, ob Angaben hierzu von seiner Aussagegenehmigung gedeckt seien. Auch sein Rechtsbeistand sieht hier begründete Zweifel, dem Vertreter der Staatsregierung genügt, wenn Schmiedel auf Namen der LfV-Beamten verzichtet. Der Sachverhalt sei öffentlich bekannt.*

Auf Nachfrage verweist Schmiedel zunächst auf das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdienst, bei »ausgesuchten Sachverhalten« habe es eine Ausnahme gegeben. Das sei aber von den Behördenleitern »abgesichert« worden. Das Interesse habe »beiderseits« bestanden, schätzt Schmiedel ein. Bei dem Treffen habe es, »ähnlich wie hier«, eine Lageeinschätzung gegeben. Man habe sich gefragt, was für die Kollegen vom LfV interessant sein könnte, die Polizei sei schließlich erst bei einer konkreten Gefahr im Geschäft, das LfV könne schon eher tätig werden.

Protokoll: »Das war so nicht vereinbart.«

Dass es von dem Treffen ein Protokoll gibt, habe Schmiedel erstaunt: »Das war so nicht vereinbart.« Er habe es erstmals im Zuge seiner Akteneinsicht in Vorbereitung auf die heutige Sitzung gesehen. Prinzipiell habe es »kein förmliches Protokoll« des Treffens gegeben. Im Nachgang habe er im Protokoll nichts Falsches entdeckt. Es gäbe »einzelne Rechte«, die er anders in Erinnerung habe als sie im Protokoll dargestellt wurden: »Aber da wurde wohl interpretiert.« An die Formulierung, dass es in Zwickau den Versuch der Eminger-Brüder gäbe, eine »saubere Kameradschaft« zu gründen, könne er sich so nicht erinnern. »Aufhänger«, über die Emingers zu reden, seien die bereits genannten Schmierereien gewesen. Woher das Zitat der »sauberen Kameradschaft« komme, könne Schmiedel nicht mehr rekonstruieren. Erkenntnisse über Emingers Pläne zur Gründung einer Kameradschaft, kenne er »so nicht«. Schmiedel habe hier »eher Klose« im Kopf »mit dem Freie Kräfte-Umfeld«.

Schmiedels Rechtsbeistand ergänzt, dass es sich bei der Bezeichnung »saubere Kameradschaft« im Protokoll nicht zwangsläufig um ein Zitat handeln müsse und verweist auf ein höchstrichterliches Urteil, nachdem Anführungszeichen auch bei einer »sinngemäßen Wiedergabe« eingesetzt werden können. Möglicherweise sei das mit der »sauberen Kameradschaft« »metaphorisch« gemeint gewesen.

Einen Aktentausch habe es bei dem Treffen nicht gegeben und über Maßnahmen des LfV sei ebenfalls nicht gesprochen worden. Auch nicht über die Operation Grubenlampe: »Das sagt mir nichts.«

Nach einer dreiviertel Stunde ist die Befragung beendet.

* Das Treffen zwischen Staatsschutz Zwickau und dem LfV Sachsen war bereits im Vorgänger-Untersuchungsausschuss Thema, dort wurde Schmiedels Vorgesetzter Jürgen Georgie vernommen. Im Abschnitt II.2.10 des Abschlussberichts der Fraktionen von Die Linke, SPD und Bündnis90/Die Grünen wird die Befragung und die Erkenntnisse der Polizei thematisiert: http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=14688&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=202&dok_id=undefined (ab S.227)

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