- Thema: Fahndung nach dem untergetauchten Nazitrio
- Zeuge Dieter Lindauer, ehemaliger Leiter des Staatsschutzdezernats in Zwickau
- Zeuge Jan-Erik Kämmerer, LKA Thüringen/Zielfahndung
Nach drei geheimen Sitzungen in Folge sind die heutigen Zeugen/innenvernehmungen wieder öffentlich. Die Sitzung startet mit einem Hinweis des Vorsitzenden Rohwer gegenüber einigen verspätet eintreffenden Abgeordneten: Der Zeuge komme auch pünktlich, der Respekt gebiete es, ihn nicht warten zu lassen.
Dieter Lindauer: Ehemaliger Leiter des Dezernat Staatsschutz in Zwickau
Auf dem Zeugenstuhl hat Dieter Lindauer Platz genommen. Der seit 2008 pensionierte Polizeibeamte habe „seit der Wende 1990“ das Dezernat Staatsschutz in Zwickau geleitet. „Nach einer Umstrukturierung“ im Jahr 2004, „angeregt durch das Innenministerium oder so“, sei er “zurückversetzt” und bis zu seinem Ruhestand Vorgangssachbearbeiter im gleichen Bereich gewesen. Die Dezernatsleitung habe Herr Andrä übernommen, der später als Lindauer zum Staatsschutz dazugekommen sei.
In Vorbereitung auf den heutigen Termin habe er Akteneinsicht bei der Polizeidirektion Zwickau beantragt, erklärt der Zeuge. Akten aus der Zeit vor 2008 hätten jedoch keine vorgelegen, sondern lediglich Akten ab 2011, »so dass ich über die Akten nichts sagen kann«. Erklären könne er das nicht, erläutert der ehemalige Beamte auf Nachfrage. Vom NSU und deren Unterstützer habe er keine Kenntnis gehabt, die Namen Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe seien ihm nicht erinnerlich. Lindauer bestätigt aber, dass »alle Fahndungen in den täglichen Dienst einbezogen« worden seien. Seien diesbezüglich »Informationen aufgelaufen«, so seien die an den Leiter der Kriminalpolizeiinspektion weitergegeben worden. Der sei auch für Absprachen mit „höheren Dienststellen“ wie LKA, Soko Rex und LfV Sachsen zuständig gewesen, erklärt er auf Nachfrage. Regelmäßige Besprechungen mit dem Verfassungsschutz habe es »meinerseits« nicht gegeben, berichtet Lindauer weiter. Lediglich über das LKA seien die Dezernatsleiter zum Informationsaustausch eingeladen worden.
»Eine rechte und eine linke Szene, und was weiß ich was«.
Auf die Frage des Linken-Abgeordneten Richter, ob er sich noch an Umfang der rechten Szene und führende Köpfe erinnern könne, antwortet Lindauer, dass es »eine rechte und eine linke Szene, und was weiß ich was« gegeben habe. »Aber konkret kann ich das nicht erinnern, das liegt zu weit zurück.« Der vorgehaltene Name Ralf Marschner sage ihm etwas, er wisse aber nicht mehr in welchem Zusammenhang. Lindauer stellt fest, dass es Verbindungen der rechten Szene in angrenzende Städte gegeben habe, darunter »könnte auch Chemnitz gewesen sein«. Zu Verbindungen ins Rockermilieu wisse er nichts, zu »Blood and Honour« könne er ebenfalls nichts sagen.
Vom Totschlag an Patrick Thürmer wisse er nur noch, dass er »in Hohenstein-Ernsthal zu Tode gekommen« sei. Daraufhin legt die Linken-Abgerordnete Köditz dem Zeugen eine Aktenvermerk vor. Aus dem geht hervor, dass sich ein Zeuge telefonisch bei der Polizei gemeldet habe, weil er am 10. Oktober 1999 in einem Bierzelt auf dem Zwickauer Markt mitbekommen habe, dass Ralf »Manole« Marschner damit geprahlt habe, dass er mit seinem Freund André Clauß »einen Punker erschlagen« habe. Lindauer bestätigt, dass er diesen Aktenvermerk unterschrieben habe. Ob Marschner danach zur Vernehmung geladen worden sei, wisse er jedoch nicht mehr. Er habe zu dem Fall keine Erinnerungen mehr.
Die Befragung wird nach etwa 25 Minuten beendet.
Jan-Erik Kämmerer: Befragung wird fortgesetzt
Anschließend wird die Vernehmung von Jan-Erik Kämmerer fortgesetzt, da die Zeit am 12. März 2018 zu knapp bemessen war. Der Zielfahnder vom LKA Thüringen wird nach einer Personenkontrolle im Zuge einer Observation der Bernhardstraße 11 in Chemnitz gefragt. Er erklärt, dass er sich an den genauen Zeitpunkt nicht mehr erinnern könne, es müsse aber »gegen Abend« gewesen sein. An welchem Tag der mehrtägigen Maßnahme das gewesen sei, könne er nicht mehr eingrenzen. Man habe eine Person im Hausflur angesprochen, die sich aber nicht als der gesuchte Böhnhardt herausgestellt habe. Ob dazu ein Aktenvermerk gefertigt wurde, könne er nicht mehr erinnern. Dem Zeugen wird daraufhin der entsprechende Vermerk vorgehalten. Daraus geht hervor, dass es um die Kontrolle von Daniel H. gegangen sei. Ob Kämmerer persönlich dessen Dokumente geprüft habe, könne er nicht mehr erinnern. Es bleibt letztlich unklar, ob die von Kämmerer beschriebene Kontrolle die gleich ist, die auch in den Akten vermerkt wurde. Eine Situation in der Kai Seidel, die eigentliche Zielperson, im Anschluss an die Kontrolle Unterlagen auf dem Grill verbrannt haben soll, sei ihm ebenfalls nicht erinnerlich.
Die im Vermerk erwähnten »umfangreichen Maßnahmen« beziehen sich auf den »relativ großen Aufwand« im Rahmen der Observation, bei der Übertragungstechnik zum Einsatz gekommen und das Mobile Einsatzkommando (MEK) involviert gewesen sei. Den Vermerk selbst, so Kämmerer, sehe er heute zum ersten Mal wieder, seit er ihn damals verfasst hat.
Spur nach Zwickau?
Dass sich bei der Zielfahndung ein Fokus auf Chemnitz herauskristallisiert hat, erklärt Kämmerer mit den Ergebnissen der Observationsmaßnahme des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz im Mai 2000 an der Wohnung von Mandy Struck. Dabei sei das Bildmaterial entstanden, dass sehr wahrscheinlich Böhnhardt gezeigt habe. Wie man zuvor auf Mandy Struck gestoßen sei, dazu könne Kämmerer nichts sagen.
Auf Nachfrage berichtet Kämmerer, dass Zwickau »aus der Erinnerung her« keine Rolle für die Fahndung gespielt habe. »Falls es welche gegeben haben sollte«, sei er jedenfalls nicht an operativen Maßnahmen in Zwickau beteiligt gewesen. Insgesamt seien »viele Orte genannt und überprüft« worden, ob Zwickau dabei gewesen sei, könne er nicht erinnern. An die Vernehmung von Jürgen Helbig, einem Jugendfreund Böhnhardts und NPD-Mitglied aus Jena, durch Wunderlich im August 1999 könne sich Kämmerer nicht erinnern: Das sei vor seiner Zeit bei der Zielfahndung gewesen. Die Vernehmung sei aber » im Bereich der Zielfahndung bekannt gewesen«, an Unterlagen könne er sich aber nicht erinnern, erklärt Kämmerer auf den Vorhalt der Linken-Abgeordneten Köditz, Helbig habe gegenüber Wunderlich eine Kurierfahrt nach Zwickau zugegeben. Das wäre aber zumindest ein relevanter Ansatz gewesen, um Zwickau in den Blick zu nehmen. Jedoch erbringt die Vernehmung Kämmeres keinen Hinweis, dass dieser Spur nachgegangen wurde.
Akten bei Übergabe: »Grundsätzlich vollständig.«
Der Zielfahnder erläutert auf Nachfrage die Handhabung von TKÜ-Akten. Sie seien »grundsätzlich vollständig« gewesen und seien in einem Extra-Ordner aufbewahrt worden. Gespräche seien allerdings keine verschriftet worden, »es sei denn, sie sind für die Staatsanwaltschaft nötig«. Und weiter: »Die Fahndung verschriftet aber sonst nicht.« Lediglich die Verbindungsdaten seien aufbewahrt worden. In einem Fall sei eine Telefonnummer aufgetaucht, die von einer Behörde stamme. Die Überprüfung habe sein Kollege Wunderlich übernommen.
Der LKA-Beamte bestätigt klar, dass die Fahndungsakten bei der Übergabe an die Ermittlungsgruppe TEX vollständig gewesen seien. Vorher habe man die Akten anderthalb Wochen sortiert und etwaige Dopplungen entnommen. Ob auch die Beschlüsse für die TKÜ-Maßnahmen dabei gewesen seien? »Ja.«
Ob es anschließend Besprechungen zwischen dem EG TEX-Fahnder Dressler und den Zielfahndungskollegen gegeben habe, wird Kämmerer gefragt. Er bestätigt, dass Dressler »immer mal im Bereich« gewesen sei. Die Abstimmung mit der Zielfahndung schätzt er jedoch als »eher gering« ein. Zum Verhältnis zwischen Wunderlich und Dressler möchte der Zeuge »sich eigentlich nicht äußern.«
Schützende Hand des LfV Thüringen über dem Trio?
Die Zielfahnder hätten nicht mit dem LfV Thüringen zusammengearbeitet. Dass es im Vorfeld der Observation in der Bernhardstraße 11 in Chemnitz Kontakt mit dem LfV Sachsen gegeben habe, könne er nicht ausschließen. Technische Absprachen könnte es gegeben haben, so Kämmerer. Die Annahme, dass das LfV Thüringen das Trio schütze, sei im Fahndungszeitraum »immer mal aufgetaucht«. Kämmerer verweist auf die ergebnislosen Treffen zwischen dem Zielfahndungsleiter Ihling und dem LfV. Die Annahme sei aber nie bewiesen worden, so Kämmerer weiter. Dafür fehle es an »fundierten Kenntnissen.«
Mit der Zielfahndung in Sachsen habe man sich jedoch abgestimmt: Es sei üblich, die Kollegen zu informieren, wenn man in einem anderen Bundesland unterwegs sei. »In 90 Prozent der Fälle« werde dann ein Kollege beiseitegestellt für etwaige Absprachen. Ob das auch im konkreten Fall in Chemnitz so gewesen sei, könne er aber nicht mehr sagen. Möglicherweise sei ein Kollege aus Sachsen bei den Vorabsprachen dabeigewesen. Überlegungen, die Fahndung nach Sachsen abzugeben, seien ihm nicht bekannt geworden, so Kämmerer. Man habe »eher« überlegt, den Fall an das BKA abzugeben.
Die Befragung endet nach einer guten halben Stunde.