Was ist passiert?
Die am 8. März 2017 veröffentlichten Informationen zum Fehlen von 114 Kurznachrichten vom Handy des NSU-Unterstützers Jan Werner in der Dokumentation des Thüringer LKA werfen ein neues Licht auf die Rolle der involvierten Ermittlungsbehörden.[1] Es steht der Verdacht im Raum, dass womöglich Polizeiakten zum “Nationalsozialistischen Untergrund” gezielt manipuliert worden sind, bevor die Untersuchungsausschüsse ihre Arbeit aufgenommen haben. Die fehlenden 114 Kurzmitteilungen des Telefons von Jan Werner stammen offenbar aus dem Zeitraum vom 26. bis 27. August 1998.
Was hat das mit Sachsen zu tun?
Der aus Chemnitz stammende Jan Werner gehörte zum Unterstützungsumfeld des NSU in Sachsen. Gemeinsam mit Thomas Starke, der später auch V-Mann des Berliner LKA war, galt er als Chef der sächsischen Blood & Honour-Sektion. Als Herausgeber des Fanzines „White Supremacy“, das zentrale Sprachrohr für das Blood & Honour-Netzwerk in Sachsen, hatte er sich ebenfalls einen Namen in der Szene gemacht.
Die Aufklärung dieser vorsorglichen Aktenmanipulation liegt nun u.a. auch im Aufgabenbereich des Sächsischen Untersuchungsausschusses „Neonazistische Terrornetzwerke“. Chemnitz war der Wohnort Jan Werners und vieler anderer Unterstüter/innen aus dem Blood & Honour-Umfeld. Aufgabe des parlamentarischen Untersuchungsausschusses muss es mittelfristig sein, sich mit der Rolle und Verantwortlichkeit der damaligen sächsischen Ermittlungsbehörden auseinanderzusetzen und das Fehlen der Textnachrichten gemeinsam mit dem Untersuchungsausschuss des Bundestags und den Thüringer Kollegen/innen aufzuklären. Schließlich waren sächsische Behörden an den Observationsmaßnahmen des Neonazis Werner beteiligt.
Was sind die Hintergründe?
Schon 1998 stießen die Zielfahnder des Thüringer LKAs auf die Spur Jan Werners. In dieser Zeit wurde er vorallem deshalb observiert, weil er ein führender Kopf der regionalen B&H-Sektion war. Es wird vermutet, dass er auch Wissen zum Aufenthaltsort der gesuchten Neonazis Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt besaß. Auf Anfrage des LfV Thüringen wurde auch das LfV Sachsen in die Observationsmaßnahmen des Neonazis Werner miteinbezogen und unterstützte die Ermittlungen bei verschiedenen Observationsmaßnahmen.[3]
Die Zielfahnder des Thüringer LKA beantragten am 3. August 1998 TKÜ-Maßnahmen bei Hendrik L., Thomas Starke (heute Mü.) und Jan Werner. [4] Der Zeuge Görlitz gab gegenüber dem V-Mann-Führer Wießner vom LfV Thüringen an, dass ein brandenburgischer V-Mann, laut Einschätzung der Nebenklage im NSU-Prozess ist Carsten Szczepanski gemeint, gemeldet habe, Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt hielten sich im Raum Chemnitz auf.[5] Darauf folgende TKÜ-Maßnahmen des Thüringer LKA betrafen Jan Werner vom 4. bis 11. August 1998,vom 11. August bis 11. September 1998 und vom 10. bis 24. September 1998. Keine der durchgeführten TKÜ-Maßnahmen brachte Erkenntnisse über den Aufenthaltsort der Gesuchten. Allerdings fand sich in dem Vermerk vom 9. September 1998 der Zielfahnder des TLKA die klare Erkenntnis, dass davon ausgegangen wurde, dass drei rechte Personen (zwei Männer und eine Frau) im Raum Chemnitz untergetaucht seien und eine Flucht ins Ausland planten.[6]
Tatsächlich lebten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe seit dem 26. Januar 1998 in Chemnitz, zuerst in der Friedrich-Viertel-Straße 85, dann von Februar bis August 1998 in der Limbacher Str. 96. In diesem so ereignisdichten August 1998 – dessen Bedeutung sich auch in der Mitteilungsdichte der dokumentierten Vermerke der Ermittlungsbehörden widerspiegelt – fand am 30. August 1998 auch der Umzug in die Altchemnitzer Straße 12 in Chemnitz statt. Die neuen Informationen des Bundestagsuntersuchungsausschusses verweisen darauf, dass am 29. August 1998, also einen Tag vor dem Umzug in die Altchemnitzer Straße 12, 22 Textnachrichten in den Protokollen der TKÜ-Maßnahmen des Thüringer LKAs verzeichnet wurden.
Neben der Beschaffung von Ausweisdokumenten in dem selben Zeitraum, gab es ebenfalls im August 1998 Hinweise aus den TKÜ-Maßnahmen bei Jan Werner. Dieser habe am 25. August 1998 die SMS „Hallo, was ist mit dem Bums?“ verfasst. Heute wird davon ausgegangen, dass sich diese SMS auf die Beschaffung von Waffen für das Trio bezieht.[7] Am 16. und 25. August 1998 wurden von Jan Werners Handy außerdem drei Nachrichten an eine Nummer gesendet, die als eine Rufnummer aus dem Ministerium des Inneren des Landes Brandenburg ausgegeben war.[8] Der V-Mann des LfV Brandenburg Carsten Szczepanski alias „Piatto“ hatte in diesem Zeitraum, August bis Oktober 1998, mehrfach Hinweise geliefert, die auf die Unterbringung des Trios in Chemnitz, als auch deren Vorbereitungen für eine Flucht ins Ausland hindeuteten. In dem Zeitraum, in dem Werner eine Waffe besorgt haben soll, standen sowohl V-Mann „Piatto“ als auch Antje Probst mit Werner in Kontakt. Piatto meldete, dass Antje Probst ihren Ausweis für Zschäpe zur Verfügung stellen wolle.[9] Das LfV Brandenburg unterrichtete das LfV Thüringen und LfV Sachsen auch über die Quellenmeldung „Piattos“, Jan Werner habe den Auftrag Waffen zu beschaffen. Außerdem hieß es, dass das Trio zur Finanzierung der Flucht nach Südafrika einen Überfall verüben wolle. Aufgrund des Quellenschutzes wurde diese Information jedoch nicht schriftlich an das Thüringer LKA weitergeleitet. Auch das LfV Sachsen informierte das LKA Sachsen nicht über diese brisante Quellenmitteilung.[10]
Was sind die Konsequenzen?
Die Untersuchungsausschüsse müssen nun klären, ob in diesem Fall eine gezielte Manipulation von Aktenbeständen stattgefunden hat und wer für diese die Verantwortung trägt. Der Bundestagsuntersuchungsausschuss muss die Zeugen vernehmen, die in den Vorfall involviert sind, um aufzuklären, um welchen Inhalt es sich bei den verschwundenen SMS handelt. Zu befragen wären dazu u.a. Jan Werner, um dessen Telefon es sich handelte, aber auch Carsten Szczepanski, der mit diesem in Kontakt stand. Der Sächsische Untersuchungsausschuss muss klären, ob sächsische Behörden diese TKÜ-Maßnahmen unterstützt haben und gegebenenfalls diejenigen vorladen, die im Namen sächsischer Behörden diese Unterstützung leisteten. Der Inhalt der SMS könnte eine hohe Brisanz haben, wenn hier tatsächlich gezielt versucht wurde, sie vor der Untersuchung durch demokratische Gremien zurückzuhalten.
[1] Vgl.Hemmerling, Axel; Kendzia, Ludwig: „Neue Behördenpannen NSU-Komplex. Es fehlen114 Kurznachrichten.“ Hrsg. von MDR Thüringen am 08.03.2017. URL: http://www.mdr.de/thueringen/zwickauer-trio-106.html [gef. am 08.03.2017].
[2] Vgl. SächsischerLandtag, 5. Legislaturperiode, 3. Untersuchungsausschuss: Abschlussberichte sowie abweichende Berichte. DS 5/14688, S. 60f.
[3] Vgl.Gutachten zum Verhalten der Thüringer Behörden und Staatsanwaltschaften bei derVerfolgung des „Zwickauer Trios“, hrsg. von Dr. Gerhard Schäfer, VolkhardWache, Gerhard Meiborg vom 14.05.2012. S. 95ff.
[4] Vgl.Gutachten zum Verhalten der Thüringer Behörden und Staatsanwaltschaften bei derVerfolgung des „Zwickauer Trios“, hrsg. von Dr. Gerhard Schäfer, VolkhardWache, Gerhard Meiborg vom 14.05.2012. S. 91.
[5] Vgl. Gegenvorstellungder RA Basay, Eberling und Kuhn gegen den Beschluss vom 02.03.2016. In: NSUWatch, Protokoll 286. Verhandlungstag vom 02.06.2016.
[6] Vgl.Gutachten zum Verhalten der Thüringer Behörden und Staatsanwaltschaften bei derVerfolgung des „Zwickauer Trios“, hrsg. von Dr. Gerhard Schäfer, VolkhardWache, Gerhard Meiborg vom 14.05.2012. S. 97.
[7] Vgl.Gutachten zum Verhalten der Thüringer Behörden und Staatsanwaltschaften bei derVerfolgung des „Zwickauer Trios“, hrsg. von Dr. Gerhard Schäfer, VolkhardWache, Gerhard Meiborg vom 14.05.2012. S. 99.
[8] Vgl. DeutscherBundestag, 17. Wahlperiode, Beschlussempfehlung und Bericht des 2.Untersuchungsausschusses, DS 17/14600 vom 22.08.2013, S. 342.
[9] Vgl. DeutscherBundestag, 17. Wahlperiode, Beschlussempfehlung und Bericht des 2.Untersuchungsausschusses, DS 17/14600 vom 22.08.2013, S. 294.
[10] Vgl. Vgl.Sächsischer Landtag, 5. Legislaturperiode, 3. Untersuchungsausschuss:Abschlussberichte sowie abweichende Berichte. DS 5/14688, S.72.