- Thema: Fahndung nach dem untergetauchten Nazitrio
- Zeuge: Jürgen Dressler, LKA Thüringen
Der Kriminalist Jürgen Dressler, 57 Jahre alt, arbeitete im Thüringer Landeskriminalamt bevor und nachdem Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt untertauchten. Das später sogenannte Trio war in der Jenaer Nazistene aktiv – und insbesondere Böhnhardt stand im Verdacht, Sprengsätze und Bombenattrappen ausgelegt zu haben. Ein Verdacht, dem Dressler damals nachzugehen hatte.
Der Zeuge ist berufserfahren, seit 1986 war er bei der Kriminalpolizei tätig, 1992 wechselt er in den Dienst des Thüringer LKA. Mitte 1997 wurde er zum Staatsschutz umgesetzt und mit der Leitung der Ermittlungsgruppe (EG) »Tex« beauftragt, einer auf für alle Bereiche der politisch motivierten Kriminalität zuständigen Nachfolgeeinheit der aufgelösten Soko »Rex«. In der neuen Einheit war Dressler bis Anfang der 2000er Jahre in leitender Funktion tätig – infolge der islamistisch motivierten Anschläge in den USA, so erläutert es der Zeuge, seien die EG dann aufgelöst und der Staatsschutz umstrukturiert worden. Der Fokus habe sich dann »mehr oder weniger dem islamischen Extremismus« zugewandt. Bis 2011 habe Dressler »im verdeckten Bereich« des Thüringer LKA gearbeitet, inzwischen ist er Sachbereichsleiter für Zielfahndung und Zeugenschutz. Im Zuge der juristischen und parlamentarischen Aufarbeitung der NSU-Straftaten sagte Dressler bereits vor dem Deutschen Bundestag, dem Thüringer Landtag, sowie vor dem OLG München aus.
»Rot mit einem weißen Kreis, Hakenkreuz drauf«
Als Dressler zur EG »Tex« gekommen war, habe er verschiedene Verfahren auf dem Tisch gehabt, die Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe betrafen: »In verschiedenen Bearbeitungszuständen«, wie er sagt. Ein erster Schwerpunkt sei die sogenannte Stadionbombe (September 1996) gewesen, er habe »noch mal die komplette Spurenlage aufgearbeitet«. Denn bald habe es weitere Vorfälle gegeben: Eine Rohrbombe auf dem Jenaer Theaterplatz (September 1997), »gleiche Dekoration, rot mit einem weißen Kreis, Hakenkreuz drauf«. Und wenig später (Dezember 1997) wurde eine »entsprechend dekorierte Kiste« auf dem Nordfriedhof gefunden, wieder eine Bombenattrappe. Man sei zu dem Zeitpunkt, so der Zeuge, bereits überzeugt gewesen, dass Böhnhardt daran beteiligt war.
Man habe nach einem Raum gesucht, in dem die Bomben gefertigt werden, und Observationen in Gang gesetzt, »die leider nicht in dem Umfang realisiert werden konnten«. Nicht das LKA, sondern der thüringische »Verfassungsschutz« fand schließlich die Garage. Eine Durchsuchung folgte am 26. Januar 1998. Und genau dann und dort kam es »zum Abgang von Böhnhardt«, wie es der Zeuge formuliert. Auch Mundlos und Zschäpe seien danach nicht mehr auffindbar gewesen.
In Telefonüberwachungen »nicht reingehört«
Als Leiter der Ermittlungsgruppe war Dressler fortan verantwortlich für die Fahndung nach dem Trio, die formal bis 2003 andauerte. Ihm oblag insbesondere die polizeiliche Sachbearbeitung des Fahndungsfalles. Nach seinen Angaben arbeiteten noch drei bis sieben weitere Beamte/innen in der EG*.
Bei der Suche nach dem Trio habe es eine Aufgabenteilung gegeben: Die EG übernahm den »administrativen«, das Zielfahndungskommando (ZFK) den »operativen Teil« der Fahndung, eingeschlossen eine Vielzahl von Telekommunikations-Überwachungen (TKÜ). Die habe er zwar »zur Kenntnis gekriegt«, aber »nicht reingehört«. Auch auf mehrfache Nachfrage kann der Zeuge nicht rekapitulieren, welchen Grund und welche Ergebnisse die jeweiligen Abhöraktionen hatten – Wortprotokolle seien damals nicht gefertigt worden. Die Zielfahndung sei außerdem dazu übergegangen, neue Überwachungsanträge direkt an die Staatsanwaltschaft zu schicken, »um die Entscheidungswege relativ kurz zu halten«.
Mehrmals versuchte der Zeuge herauszustellen, dass ihm als Sachbearbeiter nur ein eingeschränkter Einblick in die Arbeit der Zielfahndung möglich war, und entwarf das Bild einer strikten Trennung dieser Bereiche. Dem stehen Aussagen des Zielfahnders KHK Wunderlich vor dem 3. Untersuchungsausschuss entgegen, die auf die weisungsbefugte Rolle der Sachbearbeitung gegenüber der Zielfahndung hindeuten. So hatte Wunderlich berichtet, dass es schließlich Dressler gewesen sei, der in Absprache mit der zuständigen Staatsanwaltschaft eine Fortsetzung der Zielfahndungs-Maßnahmen »nicht mehr zugestimmt« habe, und zwar lange vor Eintritt der Verjährung im Jahr 2003.
Ein »Zufallstreffer vor dem Herrn«
Beim Umgang mit Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe hat das Thüringer LKA frühzeitig mit dem LfV kooperiert. Erster Anlass war der Observationsplan im Jahr 1997: Vier Wochen habe man Böhnhardt beobachten wollen, die Zustimmung der Staatsanwaltschaft lag vor. Doch ein Abteilungsleiter habe den Fall »in der Priorität entsprechend niedrig angesiedelt«, Unterstützungskräfte für eine langfristige Beobachtung habe man daher nicht bekommen, so Dressler. Es wäre ein »Zufallstreffer vor dem Herrn« gewesen, unter diesen Bedingungen Erfolg zu haben. Daher habe er sich hilfesuchend an einen Mitarbeiter des LfV gewandt. Die Observationskräfte des Geheimdienstes, die sich daraufhin an Böhnhardts Fersen hefteten, landeten einen »Zufallstreffer« und seien bereits nach gut einer Woche fündig geworden.
Auch nach dem Untertauchen habe sich die Kooperation mit dem LfV fortgesetzt. So habe man erfahren, dass Flüge über Bulgarien nach Südafrika gebucht worden waren. Ein Zustieg durch die flüchtigen Neonazis Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt wurde vermutet. Dieser Spur sei man gemeinsam mit dem LfV nachgegangen, »bis aufgeklärt war, dass die entsprechenden Flüge nicht von diesen Personen belegt sind.« Zwei andere, »recht bekannte« Neonazis aus Thüringen, Kapke und Brehme, seien stattdessen in der Maschine gewesen, um zu einem »rechtsextremen Farmbesitzer« nach Südafrika zu fliegen.
Kooperation mit Sachsen: Gelungen, aber erfolglos?
Zu wesentlichen Fragen der Ausschussmitglieder hat Dressler, der sich nach eigenen Angaben nicht auf die Befragung vorbereitet hat und nur auf seine Erinnerung zurückgreifen kann, oft dieselbe Antwort: »Daran habe ich keine Erinnerung mehr.« Wie es dazu kam, dass die Thüringer Zielfahnder die untergetauchten Nazis in Sachsen und speziell in Chemnitz vermuteten, kann Dressler nicht beantworten. Man sei zwar »möglicherweise« bereits im Februar 1998 genau deshalb in Sachsen gewesen – aber der Grund ist dem Zeugen nicht erinnerlich. Auch auf Fragen, inwieweit sich später Hinweise auf Zwickau ergaben, muss er passen. Eine weitere Zusammenarbeit mit den sächsischen Ermittlungsbehörden sei seiner Erinnerung nach ohnehin über den thüringischen Zielfahnder Wunderlich gelaufen. Generell habe die Zusammenarbeit mit dem LKA Sachsen gut funktioniert, betont der Zeuge: Unter anderem wegen der Produktion neonazistischer Tonträger sei man gemeinsam vorgegangen. Was den Ausschussmitgliedern als sogenanntes Landser-Verfahren bekannt ist, habe mit der Suche nach dem Trio jedoch »überhaupt nichts zu tun« gehabt, so Dressler.
Die Ausschussmitglieder interessiert unter anderem auch, warum die sächsischen Behörden nicht selbstständig aktiv wurden, um nach dem Trio zu suchen. Denn die Maßnahmen des LKA Thüringen konzentrierten sich auf Chemnitz, ein Umstand, den der Zeuge wiederum nicht erklären kann. Er habe damals die sächsische Soko Rex gekannt, »die sehr aktiv und auch sehr erfolgreich war«, man sei davon ausgegangen, dass sich die sächsischen KollegInnen melden würden, wen ihnen etwas bekannt wird. Auf die Frage der SPD-Abgeordneten Sabine Friedel, ob es in diesem Falle zu erwarten gewesen wäre, dass sächsische Behörden auch ohne ausdrückliche Anforderung der thüringischen Seite aktiv zu werden, antwortete der Zeuge diplomatisch: Man würde sich »sicher in dem Fall darum kümmern«, wenn eine Struktur erkennbar werde. Andererseits hätten die jeweiligen Kriminalämter schon genügend eigene Fälle.
Maßnahmen endeten lange vor der Verjährung
Überlegungen, den Fall nach Sachsen abzugeben, habe es denn auch nicht gegeben, auch nicht, als die Maßnahmen der Zielfahndung augenscheinlich ausgeschöpft waren. Nicht erklären konnte der Zeuge die »zeitlichen Lücke zwischen dem Ende der Zielfahndungsmaßnahmen und der Verjährung«, nach der die LINKE-Abgeordnete Kerstin Köditz fragte. Im Jahr 2002, erläuterte der Zeuge, sei »ein einzelner Mitarbeiter, der bis dahin überhaupt nichts mit dem ganzen Sachverhalt zu tun hatte« damit beauftragt worden, die Akten zum Fahndungsfall durchzuarbeiten und neue Ermittlungsansätze zu finden.
Da die erzielten Erkenntnisse aus Sicht der Staatsanwaltschaft aber nicht ausreichend waren und seitens des Thüringer LKA keine verjährungshemmenden oder -unterbrechende Maßnahmen erwirkt hatte, lief die Fahndung schließlich im Jahr 2003 aus – ohne das »Trio« gefasst zu haben. Vier Menschen waren zu diesem Zeitpunkt bereits durch die Terrorgruppe »NSU« ermordet worden.
* Aus dem Bericht der Schäferkommission geht hervor, dass die EG TEX zwar maßgebliche Verfahren der abgelösten SOKO REX übernommen habe, das Strukturermittlungsverfahren sei jedoch bereits im Oktober 1997 eingestellt worden (vgl. Bericht Schäferkommission, S. 233f.) Zeuge Dressler hatte schon vor der Schäferkommission ausgesagt und darauf hingewiesen, dass Herrn OStA Mohrmann, seine Verwunderung ausgedrückt haben soll, dass die SoKo REX gegen eine wesentlich kleinere EG ausgetauscht worden sei, die gleichzeitig mehr Aufgaben gehabt habe und es zu keiner personellen Verstärkung der EG TEX gekommen sei (vgl. ebd. S. 235). Dressler hatte weiterhin vermerkt, dass die Verfolgung von Straftaten, nicht jedoch die Aufklärung der rechten Szene zu den Aufgaben der EG TEX gehört haben. Sinn macht das keinen.