Bericht 21. Sitzung – 28. August 2017

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Vom Abteilungsleiter zur Fachaufsicht: Joachim Tüshaus

Der erste von zwei geladenen Zeugen ist Joachim Tüshaus, der von 1993 bis 2004 die Abteilung II »Links- und Rechtsextremismus« des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) Sachsen geleitet hat. Von 2007 bis März 2012 oblag ihm dann die Leitung der Fachaufsicht über das Landesamt. Zu Beginn seiner Aussage erklärt er, dass er zum Kenntnisstand des Vorgängerausschusses »kaum etwas neues hinzufügen« könne. Er wolle sich daher auf ein paar »relevante Wegmarken« konzentrieren.

Im Februar 1998 sei das LfV Sachsen vom LfV Thüringen über die Suche nach und die Haftbefehle für Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe informiert worden. Noch im Februar 1998 habe das LfV erfahren, dass das Trio ihren Fluchtfahrzeug im »Raum Dresden« abgestellt habe und Kontakte nach Berlin geknüpft haben soll.

Weiterer Überfall? »Dazu wußten wir nichts.«

Am 16. September 1998 habe das LfV Thüringen im Rahmen eines Treffens um Unterstützung bei Observationen gebeten. Tüshaus sei selbst nicht anwesend gewesen, aber der zuständige Referatsleiter und dessen Mitarbeiter. Er wisse von dem Treffen aus einem Aktenvermerk vom Folgetag.

Grundlage für die Anfrage aus Thüringen sei eine Quellenmeldung vom LfV Brandenburg gewesen, aus der hervorgegangen sei, dass der Chemnitzer Jan Werner versuche Waffen für die flüchtigen Nazis und »einen weiteren Überfall« zu beschaffen. Zwar sei diese Aussage für die Ämter »zentral« gewesen, aber Nachforschung, was für ein vorhergehender Überfall gemeint gewesen sein könnte, scheinen nicht stattgefunden zu haben. Tüshaus: »Dazu wußten wir nichts. Wir haben dazu keine Erkenntnisse gewonnen.«

Auf dem Treffen sei außerdem bekannt geworden, dass Antje Probst beabsichtige, den Flüchtigen ihren Pass zur Verfügung zu stellen. Tüshaus behauptet, es sei auch klar gewesen, dass Werner und Probst ihre Unterstützung jeweils »unabhängig voneinander« leisten würden. Woran das festzumachen sei, lässt er jedoch offen. Jedenfalls habe das LfV Sachsen aufgrund der vorgelegten Informationen für September und Oktober 1998 »tageweise« Observationen angeordnet.

»Wie kriegen wir diese Meldung zur Polizei?«

Tüshaus erklärt weiter, »für uns« sei es angesichts der Informationslage »zwingend, die Polizei zu informieren.« Die Frage sei gewesen: »Wie kriegen wir diese Meldung zur Polizei.« Das »quellenführende Amt« – Tüshaus achtet konsequent darauf, Brandenburg nicht zu nennen (»Vertraulichkeit!«) – habe die Information nicht freigegeben und eine schriftliche Weitergabe untersagt. Lediglich der mündlichen Weitergabe durch das LfV Thüringen an das dortige LKA sei zugestimmt worden. Tüshaus bezeichnet das als »unbefriedigend«, weil es für die Strafverfolgungsbehörden so unmöglich gewesen sei, weitergehende Maßnahmen, etwa TKÜ-Beschlüsse oder Wohnungsdurchsuchungen, zu erwirken. Eine Weitergabe der Information an die sächsische Polizei sei nicht erfolgt, man habe die »Polizei als Einheit« gesehen und, so Tüshaus weiter, »nicht parallel an mehreren Ecken die Tischdecke angezündet.«

Bei einer weiteren Besprechung zwischen den Verfassungsschutzämtern von Thüringen, Brandenburg und Sachsen am 21. September 1998 – hier war Tüshaus selbst beteiligt – sei das Lagebild um weitere Informationen ergänzt worden. Aus einer TKÜ-Maßnahme des LKA Thüringen sei eine Nachricht von Jan Werner an Ralf Wohlleben bekannt geworden. Außerdem sei am 25. August 1998 folgende Frage von Jan Werner an die Brandenburger V-Person Carsten »Piatto« Szczepanski geschickt worden: »Hallo, was ist mit dem Bums?« Diese Nachricht sei Tüshaus aber erst später bekannt geworden.  Trotz neuer Erkenntnisse hätten die Ämter jedoch an ihrer Quellenschutztaktik festgehalten und ihre weitere Vorgehensweise abgestimmt. Thüringen solle die Federführung bei der Fahndung behalten, Sachsen intensiviere die Observationen von »Blood&Honour«, wo Werner und Probst gemeinsam aktiv seien, so Tüshaus weiter.

1999? »Da ist nicht viel passiert.«

Um seiner Aufgabe nachzukommen, habe das LfV Sachsen »technische Maßnahmen« geprüft. Ein vorbereiteter Antrag auf technische Überwachung gegen »Blood&Honour« sei aber nicht umgesetzt worden, weil »eine andere Behörde«, das Bundesamt für Verfassungsschutz, eine »bereits bestehende Maßnahme erweitert« habe, so der ehemalige Abteilungsleiter. Erfahren habe man außerdem, dass sich Jan Werner und Thomas Starke 1998 »im Streit« von »Blood&Honour« Deutschland getrennt hätten.

Im Juni 1999 sei auch an das LfV Sachsen ein vorläufiger Abschlussbericht aus Thüringen eingetroffen. Dieser habe Erkenntnisse enthalten, wonach sich im Frühjahr Hinweise »verdichtet« hätten, dass sich die drei Gesuchten in Chemnitz aufgehalten haben. Damit sei erstmals Chemnitz als Aufenthaltsort des Trios aufgefallen. Weiter soll darin gestanden haben, dass sie sich »jetzt definitiv im Norden Deutschlands« aufhalten würde. »Nicht berichtet«, so Tüshaus, wurde eine Nachricht aus Thüringen, mit der Aufforderung, »die Kameraden« sollen den unterbrochenen Kontakt zum Trio klären. Ebenfalls nicht weitergegeben worden sei die Nachricht von Thomas Starke, dass die Drei kein Geld brauchen, weil sie »jobben« würden. Davon habe Tüshaus erst aus dem Schäfer-Bericht erfahren. Jedoch habe es im März 1999 eine Observationsmaßnahme bei Antje Probst gegeben. Ansonsten sei in dem Jahr »nicht viel passiert.«

Auf Nachfrage zum Stichwort „Telefonzellen“ gab er außerdem an, es ergebe sich aus einem Observationsbericht, den er zu Gesicht bekam, ganz beiläufig, dass es auch eine „gemeinsame Auftragserledigung“ von TLfV und LfV Sachsen gegeben habe, bei der vier
Telefonzellen im Chemnitzer Stadtgebiet beobachtet wurden. Mehr wisse er dazu  nicht

Tüshaus widersprach auch einer Aussage Volker Langes. Der war Ende 1998 als Referatsleiter Rechtsextremismus ins LfV gekommen und hatte wiederholt angegeben LINK Sitzung 19, erst Mitte 1999 überhaupt vom Trio erfahren zu haben. Tüshaus gab dagegen an, er gehe davon aus, dass Lange bereits nach Amtsantritt von dem Fall gehört haben müsse, und zwar anlässlich einer Korrespondenz mit dem BfV im Dezember 1998.

Die einzige Spur: Mandy Struck

»Greifbarere Informationen« zum gesuchten Trio habe es dann erst wieder im Februar 2000 gegeben: Der »Rechtsextremist« Andreas Graupner habe in Thüringen verkündet, dass es »den Dreien« gut gehe. Im April 2000 habe es ein Treffen mit dem LfV Thüringen zum Erkenntnisaustausch gegeben. Dort sei erklärt worden sei, dass die Thüringer LKA-Zielfahndung eine neue Öffentlichkeitsfahndung plane. Das LfV Sachsen solle im Zeitraum einer Kripo-Live-Sendung, die sich mit dem Trio befasst, Oberservationsmaßnahmen durchführen.

Tüshaus berichtet, dass man darüber das LKA Sachsen informiert und in die Observationen einbezogen habe. Auch sei das SEK eingeschaltet worden, wegen der Gefährlichkeit der Situation. Beobachtet worden sei Mandy Struck, die das LKA Thüringen als relevant benannt habe. Das sei die »einzige Spur« gewesen. Während der Maßnahme sei es zu einer Kontaktaufnahme zwischen dem Freund von Struck und einer Person gekommen, die Uwe Böhnhardt ähnlich gesehen habe. Für eine durchgehende Videodokumentation habe das LfV Sachsen später, im September 2000, eine Wohnung angemietet. Am 28. September habe sich die Thüringer Polizei der Observation angeschlossen, außerdem sei ein sächsisches Mobiles Einsatzkommando in Stellung gebracht worden. Einen Tag später seien eine männliche und eine weibliche Person an das Objekt herangetreten. Gefertigte Videoprints zeigen eine Ähnlichkeit zu den Gesuchten, diese habe sich aber später nicht bestätigt, so Tüshaus.

Am 23. Oktober 2000 wird Mandy Struck vom LKA Thüringen befragt, dabei seien ihr auch Fotos aus der Langzeitobservation vorgelegt worden. Für das LfV Sachsen habe sich damit eine weitere Observation erübrigt und man habe die Maßnahme abgebrochen.

Am 18. März 2001 gab es in Thüringen erneut den Hinweis, dass die drei Gesuchten in Chemnitz untergetaucht seien. Im April 2001 folgte die Nachricht, dass die Drei Geld abgelehnt hätten, da sie jetzt »Aktionen« machen würden. Das LfV Sachsen habe davon nichts erfahren, sich aber weiter mit Jan Werner und Movement Records beschäftigt, aber »ohne Ergebnis«, wie der Zeuge den Abgeordneten erklärt.

Seiner Einschätzung nach seien alle eingehenden Hinweise »intensiv bearbeitet« worden, unter »Einsatz aller zur Verfügung stehenden Mittel«.

Das geht die Öffentlichkeit nichts an!

Tüshaus wird von der stellvertretenden Ausschussvorsitzenden nach Erkenntnissen zu einem Treffen der »Blood&Honour«-Sektion Sachsen im Jugendclub Wilsdruff am 14. Juni 1998 gefragt. Tüshaus will dazu jedoch nicht antworten. Die Frage ziele auf »VS-Material«, also eine Verschlusssache, und er wolle, so Tüshaus weiter, dazu nur in einer »anderen Konstellation«, soll heißen: unter Ausschluss der Öffentlichkeit, antworten. Ebenfalls von seiner Aussagegenehmigung nicht gedeckt sei die Beantwortung der Frage, wer der feste Ansprechpartner beim BfV gewesen sei.

Auf eine Frage nach der Herkunft der Waffen im Koffer von Mario Ansorge, reagiert Tüshaus schnippisch: »Das gehört nicht hierher, wenn es nichts mit Terzett zu tun hat.« Die Fragestellerin weist daraufhin auf den Gegenstand des Untersuchungsausschusses hin. Der umfasse rechtsterroristische Netzwerke in Sachsen und damit nicht nur den NSU. Tüshaus rudert zurück, er will aber auch hier ausschließlich nicht-öffentlich antworten.

»Kein eigenes Erkenntnisaufkommen«

Zur Operation Terzett erklärt Tüshaus, dass die Idee gewesen sei, dass man mit Mandy Struck »einen Anfasser« habe, eine Person, die von der Flucht Kenntnis habe. Deswegen habe das LfV auch versucht, Kontakt mit ihr aufzunehmen. Struck habe aber geleugnet, mit den Flüchtigen Kontakt zu haben. Ansonsten sei Terzett ein Name für verschiedene Maßnahmen gewesen: darunter technische Überwachungen, Umfeldaufklärung, um die Grundlagen für weitere Schritte zu schaffen. Deswegen gäbe es auch mehrere Akten mit der Bezeichnung »Terzett«. Die Frage, ob durch die Operationen Hinweise auf Waffen erlangt worden seien, verneint der ehemalige LfV-Mitarbeiter. Überhaupt habe die Maßnahme kein brauchbares Ergebnis gebracht: Zum Fall habe es »kein eigenes Erkenntnisaufkommen« gegeben.

Olaf Vahrenhold: »Ein inspirierender Fall«

Nach der nichtöffentlichen Vernehmung von Joachim Tüshaus geht es öffentlich weiter mit Olaf Vahrenhold, der von 2004 bis 2013 der Abteilung »Links- und Rechtsextremismus« des LfV Sachsen vor stand und ab 2005 zusätzlich Vertreter des Präsidenten geworden ist. Die Abgeordneten steigen gleich in die Befragung ein, da Vahrenhold auf ein Eingangsstatement verzichtet. Er verweist stattdessen auf seine Aussagen im Umfang von mehr als 20 Stunden im Vorgängerausschuss. Gehört wurde er außerdem vom Bundestagsuntersuchungsausschuss und in Thüringen.

Vahrenhold erklärt, dass ihm die Namen des NSU-Kerntrios erstmals »vermutlich« im Jahr 2000 untergekommen seien. Er sei damals G10-Aufsichtsbeamter gewesen und er erinnert sich an den »inspirierenden Fall«. »Fachlich« sei er damals aber nicht damit befasst gewesen. Den Begriff NSU habe er jedoch erstmalig deutlich nach dem 4. November 2011 gehört.

2004 sei er kurzzeitig mit dem Fall Terzett befasst gewesen. Es sei damals darum gegangen, ob Betroffene von G10-Maßnahmen informiert werden können.

Routinemäßige Löschung von Akten: Nicht auf dem Schirm!

Nach dem 4. November 2011 habe man dann im LfV Sachsen begonnen, »alle Akten aus dem Bereich Rechtsextremismus« zusammenzutragen und auszuwerten. »Problematisch« sei gewesen, dass manche Speicherfristen schon abgelaufen waren. Für die Auswertung sei eine Projektgruppe eingerichtet worden. Eine schriftliche Vorlage, eine Anweisung oder einen Erlaß zur Aktenzusammenführung habe es aber nicht gegeben: »Mir ist nicht erinnerlich, dass da was schriftlich vorlag.« Letztlich hätten die Akten »mehr als einen Raum« gefüllt.

Von Problemen mit den Löschfristen will Vahrenhold nicht sprechen. Seine Mitarbeiter seien aber »durch die Bank« Quereinsteiger gewesen und außerdem gelte auch im LfV, dass dort, wo Menschen arbeiten, Fehler gemacht werden: »Wir versuchen, die zu bereinigen.« Zwar seien Akten mit NSU-Bezug nicht mehr gelöscht worden, das sei auch »allen Mitarbeitern« bekannt gewesen, aber das habe andere Akten, auch aus dem Bereich Rechtsextremismus »durchaus nicht betroffen«. Routinemäßige Löschungen seien weiterhin vorgenommen worden: »Wir hatten das damals nicht auf dem Schirm«, erklärt der ehemalige LfV-Mitarbeiter.

Gefragt, nach den Lehren, die das LfV aus dem NSU-Komplex gezogen habe, erklärt Vahrenhold, dass sich »die Sicherheitsbehörden erheblich weiterentwickelt« hätten. »Vor allem im Hinblick auf islamistischen Terror« habe sich die Zusammenarbeit »erheblich verbessert.« Eine Nachfrage zu konkreten Maßnahmen fällt knapp aus, Vahrenhold verweist auf Verbesserung der elektronischen Datenerfassung und Schulungen an der Fortbildungseinrichtung der Verfassungsschutzämter.

Die Befragung von Vahrenhold endet bereits nach gut 50 Minuten.

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