Bericht 20. Sitzung – 19. Juni 2017

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  • Thema: Raubüberfälle in Zwickau / Suche nach Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe in Sachsen
  • Zeuge Christian Leucht, Kriminalbeamter aus Zwickau
  • Zeuge Reinhard Boos, ehemaliger Präsident des Verfassungsschutz Sachsen

Leucht: Fortsetzung der Befragung

Da in der vergangenen Sitzung nicht alle Fragen geklärt werden konnten, nimmt der Zeuge Christian Leucht erneut vor den Abgeordneten im Saal A600 Platz. Leucht erläutert auf Nachfrage, dass er nach dem Sparkassenüberfall in Arnstadt mit einer weiteren Raubstraftat gerechnet habe. Zu diesem Schluss sei er aufgrund seiner Intuition und seiner Erfahrung gekommen, konkrete Hinweise habe es nicht gegeben – auch nicht auf eine weitere Tat in Thüringen. Dazu habe er sich auch mit Staatsanwalt Illing besprochen: »Das war ja immer Thema«, so der Ermittler. Es sei aber nicht möglich gewesen, »irgendetwas Operatives« vorzubereiten.

Kontakt mit V-Personen habe Leucht »definitv nicht« gehabt, das sei nicht sein Arbeitsgebiet. Ralf Marschner sei ihm bekannt, allerdings »weniger auf meinem Gebiet«, sondern als »Fussballstörer«. André Eminger sei ihm nicht bekannt gewesen.

Überfall in Eisenach: Informationen aus Thüringen

Leucht wird nach einem Eintrag im Lagefilm vom 4. November 2011 gefragt, aus dem hervorgeht, dass bereits frühzeitig klar gewesen sei, dass der Überfall in Eisenach mit der Raubserie in Zwickau und Chemnitz in Verbindung stehe. Leucht beruft sich hier auf die Informationen des Thüringer Kollegen Wö. Der habe ihn gleich nach Bekanntwerden des Überfalls angerufen und dessen Informationen habe Leucht wiederum dem Lagezentrum mitgeteilt.

Kurz thematisiert wird außerdem, dass Leucht beauftragt war, einen Phantombildzeichner aus Baden-Württemberg vom Flughafen Zwickau zum Revier zu fahren. Nachgefragt wird auch zur Überführung Zschäpes aus Jena nach Zwickau, für die Leucht verantwortlich war. Während der Fahrt habe es kein Gespräch mit Zschäpe gegeben, erklärt der Kriminalbeamte. Ob Zschäpes damaliger Rechtsbeistand mit nach Zwickau gefahren wurde, darüber habe Leucht keine Kenntnis. Auch zur Vernehmung in Zwickau könne er nichts sagen, da er dort nicht dabei gewesen sei.

Damit endet die Befragung nach etwa 20 Minuten.

Boos: VS-Treffen zwischen Brandenburg, Sachsen und Thüringen

Der zweite Zeuge des Tages ist Reinhard Boos, zur Zeit Beamter im Staatsministerium des Inneren. Boos leitete von Juni 1999 bis zum Dezember 2002, sowie vom Juli 2007 bis zum August 2013 das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Sachsen. Er verweist am Anfang gleich auf seine Befragung vor dem 3. Untersuchungsausschuss in der vergangenen Legistlaturperiode: »Dabei würde ich es bewenden lassen.«

Als erstes wird Boos nach dem dem Treffen vom 17. September 1998 in Potsdam gefragt, an dem die LfV von Brandenburg, Sachsen und Thüringen teilgenommen haben. Boos erklärt, ihm sei das Treffen aus den Akten bekannt. Hintergrund sei eine Meldung aus Brandenburg gewesen, nach der sich drei untergetauchte »Rechtsextremisten« Waffen für »einen weiteren Überfall« besorgen wollten. Für den Kauf der Waffen hätte Blood&Honour Geld gesammelt. Die Information stammt von der V-Person Carsten »Piatto« Szczepanski.

Daraufhin sei es zur Besprechung zwischen den drei Ämtern gekommen, die ursprünglich geplante Teilname des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) sei aus »irgendeinem Grund missraten«, so Boos. Teilgenommen hätten dann die Referats- oder Abteilungsleiter der LfV. Laut Vermerk habe das LfV Brandenburg einer Weitergabe der Information widersprochen, keine Einwände habe es aber gegeben, die Meldung ohne Herkunftsangabe weiterzugeben. Vereinbart worden sei, dass das LfV Thüringen die Suche nach dem Trio übernimmt, während das LfV Sachsen Blood&Honour-Strukturen ausleuchtet.

Weiterer Überfall: »Bei uns nicht bekannt«

Boos antwortet, dass »bei uns« nicht bekannt gewesen sei, was das »weitere« in der Ausgangsnachricht bedeute. Immerhin entstehe der Eindruck, so der Abgeordnete Patrick Schreiber, es habe vor Dezember 1998 einen weiteren Überfall des untergetauchten Nazitrios gegeben. Wirklich Gedanken scheint man sich aber nicht gemacht zu haben, die Information sei telefonisch an die Polizei, das LKA Thüringen, übermittelt worden, so Boos – mehr nicht.

Informationen für die Polizei: nicht unsere Zuständigkeit

Einen Austausch mit der Polizei und dem LfV Sachsen habe es nicht gegeben, dass sei die Zuständigkeit des LKA Thüringen gewesen. Auch als dem LfV Sachsen im Juni 1999 durch das LfV Thüringen mitgeteilt worden ist, dass es verdichtete Hinweise gäbe, nach denen das Trio in Chemnitz untergetaucht sei, habe es nichts unternommen. Boos weist auch hier eine Verantwortung des LfV Sachsen zurück wie bereits in seiner Befragung am 4. März 2013 und verweist auch hier auf das LKA Thüringen, das seiner Meinung nach vom LfV Thüringen hätte in Kenntnis gesetzt werden müssen und dann die Information nach Chemnitz hätte weitergeben müssen. Dass das allerdings die einzigen Informationen waren, glaubt Boos nicht. Er geht davon aus, dass auch in Sachsen Informationen zum Trio vorlagen. Die Kriminalpolizeiinspektion Chemnitz sei aber erst im Mai 2000 darüber informiert worden.

Die Frage von Lutz Richter, wieviele Verdachtsfälle es in der Zeit von 1998 bis 2002 gegeben habe, in denen es um Bewaffnung im Bereich Rechtsextremismus gegangen sei, kann der ehemalige LfV-Präsident nicht beantworten. Hierfür gebe es auch kein bestimmtes Prozedere, es werden »einzelfallbezogen« bearbeitet. Die Maßnahme »Terzett« sei ausgelöst worden wegen »Waffenhinweisen«, sie sei mit »besonderer Intensität durchgeführt« worden, habe aber letztlich keine Hinweise auf Waffen geliefert. Wirklich überraschend ist das nicht, ist die Maßnahme doch erst anderthalb Jahre nach dem ersten Hinweis gestartet worden. Der Name Silvio G., so Boos auf Nachfrage, sage ihm in dem Zusammenhang jedoch nichts.

»Nein, er war LfV-Mitarbeiter« – eine andere Rechsauffassung

Boos verneint, dass LfV-Mitarbeiter Waffen führen dürfen. Dass eine LfV-Quelle in die Beschaffung von Waffen involviert gewesen seien, sei ihm »im Zusammenhang mit dem NSU-Komplex« nicht bekannt. Die Aussage des ehemaligen LfV-Mitarbeiters Volker Lange in der letzten Ausschusssitzung, er sei im Fall Ansorge kurzzeitig zum Polizist gemacht worden, kann Boos nicht nachvollziehen: »Nein, er war LfV-Mitarbeiter«. Und weiter: »Ich habe ihn nicht zum Polizisten gemacht.« Die von Lange vertretene Rechtsauffassung teile Boos nicht, er halte sie aber auch nicht für nötig. Die Frage nach der Herkunft der Waffen im Fall Ansorge blockt Boos ab: er habe »Zweifel«, dass er dazu noch öffentlich aussagen dürfe. Für Werbung in eigener Sache ist die Öffentlichkeit dann aber gut genug: »Wenn wir von Waffen Kenntnis gehabt haben, haben wir alles gemacht diese rauszuziehen«, behauptet der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter.

Boos erklärt, er habe keine Erinnerung mehr, wann ihn die Information über das untergetauchte Trio aus Jena erstmals erreicht habe. Er vermutet, dass weitere Informationen dazu bei »normalen Routinebefragungen« der LfV-Quellen abgefragt worden seien. Ihm sei aber keine »gezielte Befragungsaktion« bekannt, auch nicht, nachdem das LfV Sachsen bei oben geschilderten Treffen über die Waffenbeschaffungsabsichten untergetauchter »Rechtsextremisten« informiert worden sei. Ob die LfV-Quellen bei Blood&Honour nach dem Trio befragt worden seien, könne sich Boos »gut vorstellen«, aber letztlich nicht konkretisieren.

Löschung von Akten: »Nicht auf dem Schirm«

Über den Auftrag Piattos in Sachsen, wisse er nichts. Für die »Quellenführung« sei das »quellenführende Amt« zuständig. Der Klarname Piattos sei ihm nicht bekannt gewesen. Boos sagt aber auch, dass sich die Ämter über etwaige Aktivitäten in anderen Bundesländern vorher informieren.

Vom Abgeordneten Lippmann wird Boos noch nach dem Löschmoratorium befragt. Das habe Boos verfügt, »als ich einen Anlass gesehen habe«. Diesen habe es erst 2012 gegeben, mit einer Aktenvernichtungsaktion. Vorher habe er »nicht auf dem Schirm gehabt«, dass da Akten vernichtet werden, erläutert der ehemalige Behördenleiter. Eine Anordnung dafür sei seinerseits nicht ergangen, vielmehr sei eine »automatische Routinelöschung« erfolgt. Beschwerden seitens der LfV-Mitarbeiter über die Aktenlöschung seien ihm keine bekannt.

Nach gut einer Stunde endet der erste Teil der Befragung, die Ausschussitzung wird dann unter Ausschluss der Öffentlichkeit fortgesetzt.

Zum Weiterlesen:

Aussagen von Boos und Leucht vor dem Bundestagsuntersuchungsausschuss: Unprofessionelle Ermittlungen in Eisenach – Bericht aus dem BT-UA

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