Bericht 38. Sitzung – 24. September 2018

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  • Thema: Löschmoratorium & NSU-Ermittlungen
  • Zeuge Andreas Baumann, ehemaliger Inspekteur der Polizei im SMI
  • Zeuge Marcus Leder, ehemaliger Referent in der Sächsischen Staatskanzlei
  • Zeuge Rainer Binz, leitender Ermittler beim BKA
  • Zeuge Thomas Werle, leitender Ermittler beim BKA

Als erstes nimmt Andreas Baumann vor dem Untersuchungsausschuss Platz. Der mittlerweile pensionierte Beamte leitete jahrelang das Referat Verbrechensbekämpfung im Staatsministerium des Innern (SMI) in Sachsen. Baumann erläutert, dass er 2001 aus Baden-Württemberg zunächst als Prorektor zur Fachhochschule der Polizei in Rothenburg gekommen sei. Vor seinem Wechsel ins SMI sei er zudem Polizeipräsident in Görlitz bei der damaligen Polizeidirektion Oberlausitz-Niederschlesien gewesen.

Löschmoratorium: »Meine Initiative«

Geladen wurde Baumann, um Auskunft über das Löschmoratorium zu geben. Er habe die Ermittlungsmaßnahmen im NSU-Komplex ab November 2011 »im Referat begleitet«. Unter anderem habe man die Leiter der Polizeidienststellen angewiesen, „sämtliche Unterlagen nach Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe zu prüfen“ und das SMI über die Ergebnisse zu informieren. Das sei am 18. Juli 2012 veranlasst worden. Das Löschverbot sei »auf meine Initiative hin entstanden, da gab es keine Anweisung«, erklärt Baumann. Er sei »Mitautor« dieses Moratoriums gewesen, der »erste Formulierungsvorschlag« stamme von einem Sachbearbeiter. Dessen Forrmulierungsvorschlag sei dann weiter »redigiert« worden.

Am 19. Juli 2012 habe es ein Schreiben des Vorsitzenden des Bundestagsuntersuchungsausschusses Sebastian Edathy gegeben, in dem er Polizei und die Verfassungsschutzämter bittet, ein weitergehendes Löschmoratorium für alle Akten mit »Rechtsextremismus-Bezug« zu erlassen. Das bereits existierende Löschmoratorium sei daraufhin am 3. August 2012 dementsprechend fortgeschrieben und ausgedehnt worden. Am 22. August 2012 sei das Löschmoratorium nochmals »präzisiert« worden: Nicht gelöscht werden sollten künftig Aktenbestände, wenn sie einen der folgenden »Marker« enthalten: »ReMo/Rechtsmotiviert«, »PMK-rechts« (Politisch motivierte Kriminalität) bzw. den Bearbeitungsvermerk einer Staatsschutzstelle. Berücksichtigt werden sollten nun auch Daten aus der PASS-Datei (Polizeiliches Auskunftssystem Sachsen), wenn die Eintragung »rechtsmotivierte Straftäter« vorliegt. Damit, so Baumann auf Nachfrage, sei auch gewährleistet das mit PASS verknüpfte Datenbestände aus IVO (Integriertes Vorgangsbearbeitungssystem) nicht gelöscht werden.

»Erkenne keine Lücke«

Dass Lagefilme der Polizei vom Löschmoratorium nicht erfasst seien, sei für ihn keine Lücke: »Ich sehe die Lücke auch heute noch nicht«, erklärt Baumann auf Nachfrage. Dabei hat sich der Untersuchungsausschuss lange mit der Frage beschäftigt, wie die Telefonnummer Zschäpes am 4. November 2011 an die Polizei gelangt ist. Die befragten Beamten hätten auf den Lagefilm eines Zwickauer Polizeireviers verwiesen, der sei aber gelöscht worden.

Das Löschmoratorium sei den Dienststellenleitern »schriftlich und per Mail« als Dienstanweisung zugeleitet worden. Diese hätten dann »hausinterne Regelungen« erlassen, »für den Kreis der Beschäftigten, die für die Aktenhaltung zuständig sind.« Das seien nur »bestimmte Beschäftigte«, insbesondere die Kommissariate 42 und die Staatsschutz-Abteilungen, aber »nicht die Gesamtheit der Polizei.« Für die technische Umsetzung in den Polizeidatenbanken sei das Landeskriminalamt (LKA) zuständig gewesen. Der Sächsische Datenschutzbeauftragte habe in dem Zusammenhang keine Einwände geäußert.

1183 Akten recherchiert

Insgesamt seien, so Baumann weiter, 1183 Akten recherchiert und dem Untersuchungsausschuss vorgelegt worden, wenn dieser einen entsprechenden Beweisbeschluss vorgelegt habe.  Anhaltspunkte, dass das Löschmoratorium nicht umgesetzt wurde, habe er keine: »Nach meiner Kenntnis wurden keine relevanten Daten gelöscht oder vernichtet.« Er vertraue hier auf »die Hierarchie«. Da niemand remonstriert habe, sei die Anweisung »umgesetzt« worden. Man habe da auch keine »Misstrauenskultur«. Entsprechend habe es keine Kontrolle »vor Ort« gegeben.

Auf Nachfrage erklärt Baumann, dass der Fallkomplex »spätestens durch die Übernahme durch den Generalbundesanwalt« eine »komplexe, wenn man so will terroristische Dimension« bekommen habe. Bis dahin sei man im SMI durch den damaligen Landespolizeipräsidenten Merbitz über den Ermittlungsstand in Kenntnis gesetzt worden. Baumann selbst sei aber mit den Ermittlungen nicht weiter befasst gewesen. Nicht befasst sei er auch mit dem Thema gewesen, dass das Berliner LKA sächsische Neonazis als Informanten beschäftigt hat.

In Vorbereitung auf die Vernehmung habe er Akteneinsicht beantragt, Notizen durchgesehen, seinen Rechtsbeistand und den Regierungsbeauftragten getroffen. Die Befragung endet nach einer knappen Stunde.

Marcus Leder: »450 Klicks«

Der zweite Zeuge heißt Marcus Leder. Er war seit 2015 Staatsanwalt bei den Staatsanwaltschaften Chemnitz, der Generalstaatsanwaltschaft und schließlich bei der Staatsanwaltschaft Dresden. Zuvor hatte er von 2002 bis 2008 in der Staatskanzlei u.a. als Referent für politische Planung gearbeitet und war dafür zuständig, die Umsetzung der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU und SPD zu prüfen. Später habe er noch bei der Sächsischen Schlösser- und Burgenverwaltung als Personalchef gearbeitet.

Am 9. Juli 2012, so berichtet Leder, sei er von zwei BKA-Beamten vernommen worden. Dabei sei es um frühere Besuche auf der BKA-Fahndungshomepage zur Ceška-Mordserie in den Jahren 2006 und 2007 gegangen. Diese seien, wie alle anderen Aufrufe der Homepage, vom BKA registriert worden. Die Befragung, so hätten es ihm die BKA-Ermittler erklärt, fände statt, »um Verschwörungstheorien vorzubeugen«. Leder habe dann erklärt, dass er diese Website »auch von der Staatskanzlei aus aufgerufen habe«. Wie oft, könne er heute nicht mehr sagen: »20, 30, 40 Mal«. Die von einem BKA-Beamten genannte Zahl von »450 Klicks« könne er nicht erklären, da nicht klar sei, was mit einem Klick gemeint sei. Die Nutzung habe »jenseits der 40. oder auch 50. Arbeitsstunde« von seinem Dienstrechner aus stattgefunden. Dass sei die Zeit gewesen, in der er auch Fachmagazine und Internetangebot von Zeitungen gelesen haben, »on top zu meiner eigentlichen Arbeit«, um sich beispielsweise über landespolitisch relevante Themen zu informieren. Das seien »vielleicht fünf Stunden die Woche« gewesen. Dabei sei es durchaus auch vorgekommen, dass er am Wochenende oder spät Abends auf die BKA-Website zugegriffen habe.

Grund: Interesse für Kriminologie

Leder erklärt dem Untersuchungsausschuss, dass er die Ermittlungen zur Ceška-Mordserie »zur Zeit der Morde bis zu den Verhaftungen« verfolgt habe. Er habe sich schon lange Zeit für Kriminologie interessiert und hierbei habe es sich »um eine der ganz großen Fahndungen in der BRD« gehandelt. Die Belohnung sei zwar »außerordentlich hoch« gewesen, habe für ihn dabei aber keine Rolle gespielt. Leder vermutet, dass er über Presseberichte auf den Fall aufmerksam geworden ist. Er habe regelmäßig die »Süddeutsche Zeitung« gelesen, die darüber »intensiv« berichtet hat. Er erinnert sich noch daran, dass zwei Theorien über den möglichen Hintergrund der Morde diskutiert worden seien: Wirtschaftskriminalität oder ein Einzeltäter mit fremdenfeindlichem Motiv.

Er selbst kenne keine der Personen, die beim NSU-Prozess »verfahrensbeteiligt« waren, so Leder. Er kenne auch keine Unterstützer oder Sympathisanten, »erst Recht nicht Mitglieder« des NSU. Seine Kenntnisse zum Fall habe er nur aus öffentlichen Quellen bezogen. Er habe »keinen Kontakt mit solchen Leuten«. »Fremdenfeindlichkeit« spiele in seiner Familie nur insofern eine Rolle, als dass seine Frau und Kinder schwarz seien. Die Polenzstraße in Zwickau kenne er nicht, erklärt er auf Nachfrage. Er wisse auch nicht, wie weit diese von seinem früheren Wohnort in der Stadt entfernt sei. Dem Kerntrio sei er nie begegnet.

Auf die Nutzung des Rechners in der Staatskanzlei sei er nach der Vernehmung nicht mehr angesprochen worden. Die private Nutzung des Computers sei auch dienstrechtlich nicht verfolgt worden. Als ehemaligen Personalchef überrasche ihn das nicht: »Ich hätte daran auch keinen Anstoß genommen.« Eine entsprechende Regelung zur privaten Nutzung von Computern habe es damals nicht gegeben. Heute werde das unterschiedlich gehandhabt, aktuell in der Staatsanwaltschaft Dresden etwa restriktiver.

Die Befragung endet nach etwa 45 Minuten.

Rainer Binz: Leiter der Ermittlungen in Zwickau

Danach folgt der dritte Zeuge: Rainer Binz, langjähriger Ermittler beim Bundeskriminalamt (BKA).  Er berichtet dem Untersuchungsausschuss, dass er mit den Ermittlungsverfahren vor November 2011 nichts zu tun gehabt habe. Seine Stellvertreterin sei am 10. November zusammen mit dem Kriminaldirektor Werle nach Zwickau entsandt worden. Am darauffolgenden Tag habe man dann erfahren, dass die im Brandschutt der Frühlingsstraße gefundene Ceška-Pistole zur Mordserie gehöre. Daraufhin habe man »die BAO konzipiert«.

Binz erklärt weiter, dass er daraufhin selbst nach Zwickau gefahren sei, mit insgesamt sechs KollegInnen. Ursprünglich habe er die Hinweisbearbeitung leiten sollen, aufgrund des geringen Hinweisaufkommens – es gab nur »eine handvoll Hinweise« – sei das aber »hinfällig« gewesen. Also habe er die Leitung der Ermittlungen übernommen. Am 12. November habe die BAO in Wilkau-Haßlau ihre »konstituierende Einsatzbesprechung« durchgeführt. Binz erklärt, er sei dort »der Einzige mit BAO-Erfahrung« gewesen. Binz habe früher u.a. die Ermittlungen zum 11. September 2001 in Hamburg betreut. Für die BAO Trio habe man Teams eingeteilt, die sich mit Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe sowie André Eminger befasst haben. Es seien gemischte Teams gewesen aus »lokalen Kollegen« und BKA-Beamten, die das jeweilige Team geleitet haben.

Bis zum 12. März 2012 sei Binz in Wilkau-Haßlau geblieben. Einen Tag vorher sei er telefonisch informiert worden, dass er zur »Verfahrensbetreuung« in Meckenheim gebraucht werde. Das habe er dann mit zwei Kollegen übernommen.

»Da kann man effektiv arbeiten.«

Die Zusammenarbeit mit der sächsischen Polizei beschreibt Binz »als das Beste, was ich in BAO-Zusammenhang bisher erlebt habe.« Das fange schon mit der Unterbringung in einer eigenen Etage in Polizeirevier Wilkau-Haßlau an. Auch die Zusammenarbeit mit den hiesigen Kollegen sei problemlos gewesen. Binz hebt die Kontinuität hervor, die meisten der zugeteilten Beamten seien »bis zum Schluss« dabeigeblieben: »Da kann man effektiv arbeiten.« Binz wird gefragt, ob Informationen aus der BAO abgeflossen sind. Er verweist auf eine eilig vorgezogene Razzia bei Frank S., Matthias Dienelt und Mandy Struck wg. Waffen-Hinweisen aus der TKÜ. Der Einsatz sei schon geplant gewesen, dann habe es die Information gegeben, dass Hintergründe im »Spiegel« erscheinen sollen. Daher habe man die Razzia vorgezogen. Das SEK Sachsen sei dabei für die GSG 9 eingesprungen, die nicht rechtzeitig vor Ort hätte sein können. Zu den Beweismitteln und Asservaten kann Binz berichten, dass er einen »Asservatenkoordinator« ernannt habe, der mit an der Brandruine in der Frühlingsstraße gearbeitet habe. Die sichergestellten Asservate seien in einer KfZ-Halle der Zwickauer Polizei zum Trocknen auf Papierbahnen gelagert worden. Sie seien später mit einem LKW nach Meckenheim zur weiteren Untersuchung transportiert worden. Ob sorgfältig mit dem Spurenmaterial umgegangen worden sei, könne Binz nicht sagen: »Ich war ja nicht dabei.«

LfV-Akten erst nach Beschlagnahmedrohung ausgehändigt

Mit dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Sachsen sei die Zusammenarbeit jedoch »nicht so hervorragend« gewesen, berichtet Binz. Vom LfV Thüringen habe man alle angeforderten Unterlagen »sofort« nach Zwickau geschickt bekommen. Beim LfV Sachsen habe er mit einer Frau Heidler gesprochen und um die Unterlagen gebeten. Ihre Reaktion sei gewesen: »Da könnte ja jeder kommen.« Binz habe daraufhin klargemacht, dass er »das BKA« sei und ganz schnell auch einen Beschluss erwirken könne, um die Akten abzuholen. Die Information von Binz, dass das BKA gegenüber dem LfV Sachsen mit Beschlagnahme gedroht habe, ist neu. Binz erläutert außerdem, dass er bei dem Gespräch »mehr Fingerspitzengefühl« erwartet habe. Schließlich, das habe er auch so am Telefon gesagt, könne es sein, dass ein VS-Präsident »schneller weg ist, als Sie denken«. Er habe damals schon damit gerechnet, dass es zu diesem Fall einen Untersuchungsausschuss geben wird.

Man habe dann die angeforderten Unterlagen schließlich mit der Einstufung »Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch« erhalten. Die Unterlagen aus Thüringen hätten allesamt auch in der Ermittlungsakte verwendet werden dürfen. »Sowas gab es nicht für Sachsen«, so Binz. Man habe das aber auch mit den sächsischen Unterlagen »genauso gemacht«. Frau Heidler hätte sich daraufhin beschwert, es sei »eine Unverschämtheit«, dass LfV-Akten in der Ermittlungsakte gelandet seien.

Fragwürdige Beratung aus dem Ausschusspublikum

Binz wird nach Ralf Marschner gefragt und dessen Tätigkeit für das Bundesamt für Verfassungsschutz. Binz bestätigt, dass er Marschner dem Namen nach kenne, mit ihm aber nicht befasst gewesen sei. Außerdem: »Ja, es wird wohl so gewesen sein, dass er für den den VS gearbeitet hat.« Das sei ja auch im Fernsehen berichtet worden. Nach einer weiteren Nachfrage dazu, meldet sich eine Frau aus den Publikumsreihen. Sie ist mit zwei weiteren Personen erschienen und hatte ihr Kommen im Namen des BKA vorab angekündigt: Vor ihr stehen »Reserviert«-Schilder. Sie fragt, ob sie kurz ans Mikro treten dürfe. Das gehe nicht, erklärt der Ausschussvorsitzende, bietet aber an kurz die Sitzung zu unterbrechen, sofern sich Binz mit ihr beraten wolle. Binz bejaht das: »Ich bin ja nicht beratungsresistent«. Beide verlassen für eine halbe Minute den Saal. Anschließend erklärt Binz: »Ansonsten möchte ich zu Aktivitäten des Verfassungsschutzes keine Auskunft geben.«

Binz wird nach André Kapke gefragt. Er führt aus, dass Kapke in Eisenach durch die Funkzelle gefahren sei. Es sei aber ermittelt worden, dass er von einem Autokauf in Hessen gekommen sei. Hinweise auf den VS habe es keine gegeben. Zu Peter Klose und dem »Paulchen Panther«-Motiv auf dessen Facebook-Account erklärt Binz, der Sachverhalt sei »ausermittelt« worden, »aber das ist nichts bei rausgekommen.« Ob Klose vernommen worden sei, könne er aber nicht sagen. Zu den Ermittlungen über das Thiazi-Forum weiß Binz nur, dass die »bei uns« im Referat geführt worden seien.

Herkunft der Waffen: Nur »sehr bescheidener Erfolg«

Ob das Kerntrio eine weitere Unterkunft besessen habe, konnte nicht ermittelt werden, so Binz. Es habe Hinweise gegeben, die seien mit dem »Fahndungskonzept Glauchau« überprüft worden. Aber erst nach März 2012, zu dem Zeitpunkt sei er nicht mehr selbst vor Ort gewesen. Zu einer Rassekundeschulung, an der André Eminger und Tony Gerber teilgenommen haben sollen, weiß der Ermittler nichts.

Zur Herkunft der gefunden Waffen berichtet er, dass die »Vorbesitzerkette« nur für die Ceška-Pistole »fast« geschlossen werden konnte. Bei den anderen Waffen, etwa der Pumpgun, sei die Kette »irgendwann immer abgerissen«. Manche Waffen seien »aus dem Osten« gekommen. Man habe diesbezüglich »viel« unternommen, aber es sei »bei sehr bescheidenem Erfolg« geblieben.

Zur Frage, wie er sich auf die Vernehmung heute vorbereitet habe, erklärt der BKA-Ermittler, dass er ein »exzellentes Gedächtnis« habe. Außerdem habe er noch ein paar Stichpunkte durchgesehen, die er in seinem Notizbuch mitgeschrieben hatte, und hin den »Ablaufkalender« Einsicht genommen. Mit Kollegen habe er nicht gesprochen. Die Befragung endet nach einer guten Stunde.

Thomas Werle: BKA-Ermittler für Waffenkriminalität

Der letzte Zeuge des Tages ist ebenfalls BKA-Ermittler: Thomas Werle. Er leitet in Wiesbaden das Referat Waffenkriminalität/Gewaltkriminialität. »Darüber« sei er zu BAO Trio gekommen, dessen Ermittlungsabschnitt in Sachsen er dann leitete.

Werle erklärt, dass er bis zum 9. November 2011 die Ermittlungen in Zwickau nur in der Presse verfolgt habe. Am Tag darauf sei dann die Ceška-Pistole gefunden worden, die möglicherweise als Tatwaffe der Mordserie in Frage komme. Er sei daraufhin mit einem Kollegen nach Zwickau entsandt worden. Werle berichtet, sie seien spät abends angekommen. Der Leiter der Schusswaffentechnik habe ihn dann angerufen und erklärt, dass die gefundene und inzwischen ins BKA verbrachte Waffe beschussfähig gewesen sei und es sich um die Tatwaffe handle.

Am Freitagmorgen habe er das Ergebnis im Rahmen eines Erkenntnisaustauschs mitgeteilt, die Polizeidirektion Südwestsachsen habe das »Paulchen Panther«-Video gezeigt. Seitdem sei klar, dass es sich um eine politisch motivierte Mordserie gehandelt habe, Werle habe das BKA informiert und der Generalbundesanwalt habe das Verfahren übernommen. Sie hätten »weitere Kräfte angefordert«, um eine BAO von Wilkau-Haßlau aus aufzubauen. Außerdem sei die bisherige Ermittlungsakte der Zwickauer Emittlungsgruppe „Frühling“, nach Erinnerung von Werle etwa »zwei oder drei Leitz-Ordner«, übergeben worden.

Probleme mit der IT-Anbindung

Die BAO habe am Samstagmorgen »die Arbeit aufgenommen«. Man habe »recht schnell« ca. 30 Mitarbeiter zur Verfügung gehabt, die eine Hälfte vom BKA, die andere aus Sachsen vom LKA und der Polizeidirektion. Anfangs habe es Probleme mit der IT-Anbindung »wegen geringer Bandbreite« gegeben, erinnert sich Werle. Das sei aber am Montag mit der Verlegung »mehrerer 3000er-DSL-Leitungen« gelöst worden. Zu Beginn sei das »Informationsaufkommen sehr hoch« gewesen, entsprechend habe man oft »von 8 bis 21, 22 Uhr oder länger« gearbeitet.

Werle beschreibt die Zusammenarbeit mit der sächsischen Polizei auf Nachfrage als »sehr gelungen«, »reibungslos, ja geschmeidig«. Er gibt an, dass es mit der BAO Trio »zu keiner Zeit« Versäumnisse gegeben habe. Man habe auch vom LfV die Informationen bekommen, die man gebraucht habe. An ihn sei zumindest nie herangetragen worden: »Da funktioniert etwas nicht.« Allerdings habe der Fall »eine Vergangenheit bis in die 1990er Jahre«, es habe Sachen gegeben, »die ich nur zur Kenntnis nehmen konnte«, so Werle weiter. Er schätzt ein, dass es aber »eher die Summe aller einzelnen Handlungen« gewesen sei, weswegen man nicht früher auf das Trio gestoßen sei. Es habe nicht die eine Situation gegeben, bei der man rückblickend sagt, »das hätte man sehen müssen.«

»Ich glaube der war in Thüringen angesiedelt.«

Werle wird gefragt, ob Peter Klose vernommen worden sei. Er antwortet, dass ihm der Name »im Zusammenhang mit Sachsen« nichts sage: »Ich glaube, der war in Thüringen angesiedelt.« Über VS-Quellen könne er »nichts genaues« sagen, es habe »einige Personen aus dem rechten Spektrum« gegeben, mit denen der Verfassungsschutz zusammengearbeitet habe. »Anfangs«, so Werle auf Nachfrage, habe es durchaus noch den Verdacht gegeben, dass Böhnhardt, Mundlos oder Zschäpe mit einer VS-Behörde zusammengearbeitet hätten. Das habe man vermutet, weil man fingierte Personaldokumente gefunden hat, »die sich als echt herausgestellt« haben. »Legendenpapiere« seien im vertraut gewesen, daher sei das »ein ganz wichtiger Schwerpunkt« in den Ermittlungen gewesen. Letztlich habe man eine andere Erklärung gefunden: »Durch geschickte Art und Weise« – Werle verweist auf veränderte Fotos und »die Abholung der Dokumente durch Bevollmächtigte« – sei das Kerntrio in Besitz von »echten Dokumenten, die auf andere Namen lauten« gekommen.

Über die Asservate aus der Frühlingsstraße gibt Werle an, dass er »keine Klagen« gehört habe, »dass da irgendwas nicht sachgerecht gewesen wäre«. Das seien insgesamt rund 2.000 Asservate gewesen, aber »nichts, was besonders war«. Auffälig sei die »Vielzahl von Waffen und Munition« gewesen und »vielleicht noch die Gefährderliste«, die über 1.000 Namen potentieller Ziel enthalten habe und »Anfang der 2000er« erstellt worden sei. Der Brandort selbst sei abgesperrt gewesen, es habe eine Bewachung gegeben. Für Werle habe das »einen sehr seriösen Eindruck« gemacht.

»Teilzeitjob« in rechtem Szeneladen

Informanten und Vertrauenspersonen habe man bei den Ermittlungen »in Sachsen« nicht in Anspruch genommen, so Werle auf Nachfrage. Die Suche nach einer weiteren Wohnung des Trios in Glauchau habe »kein Ergebnis« erbracht, man habe dazu im Mai 2012 eine Anwohnerbefragung durchgeführt – aufgrund welcher Hinweise, könne er nicht mehr erinnern. Außerdem habe es Hinweise gegeben, dass eine Person aus dem Trio in einen »Teilzeitjob« in einem Geschäft für rechte Szenebekleidung gearbeitet habe. Werle wisse aber nicht mehr, auf wen von den Dreien sich das beziehe. »Zentral« zur Finanzierung seien jedenfalls die Überfälle gewesen. Geldwäsche oder Bezüge zur Organisierten Kriminalität seien nicht festgestellt worden.

Dass Informationen aus der BAO an Unbefugte gelangen, sei in Bezug auf die »Gefährderliste« der Fall gewesen. Man habe daraufhin die den Teilnehermkreis der regelmäßigen Telefonkonferenzen der BAO reduziert. Von familiären Beziehungen eines Zwickauer Polizeibeamten zur rechten Szene wisse er nichts, erklärt Werle auf Nachfrage.

Werle gibt an, dass er zur Vorbereitung auf die heutige Sitzung Mitschriften durchgesehen habe, »die ich im Verlauf persönlich aufgebaut habe«. Außerdem habe er mit Herr Binz gesprochen. Ein Gespräch, an das sich der Zeuge Binz offenbar nicht mehr erinnern konnte. Die Befragung endet nach ca. 45 Minuten.

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